Die Rache der Horden
wie Feuer. Wie in blutig-feuriger Geburt dem Mutterleib der Welt entstiegen, löste sich Ulma Karzorms rote Scheibe vom Horizont und stieg schimmernd empor. Tamuka hatte das Gefühl, als stockte ihm der Atem und würde langsamer, liefe in einem letzten lang gezogenen Seufzen aus ihm heraus, das sich in die Ewigkeit ausdehnte.
Der Nachtruf der Horde umtoste ihn, und doch war es nur ein Flüstern. Die Seele Ulma Karzorms erfüllte Tamukas Herz mit ihrer blutigen Vision, und der Himmel verwandelte sich in flüssiges Feuer, das höher stieg und immer noch höher.
Die Verbannung der Dunkelheit; er lächelte über diesen Gedanken. Falls hier etwas verbannt werden sollte, dann durch Blut – indem die Welt in einem Meer von Blut gebadet wurde. Die stillen Wasser des Meeres schienen ihm so etwas wie ein Ozean aus jener reich duftenden Flüssigkeit zu sein. Er wusste, dass die Ahnen irgendwie zu ihm sprachen, als sich diese Vision formte. Aber wessen Blut war es?
Ein tiefer Donner unterstrich die dahintreibenden Rufe der Horde und fuhr mit stetiger Kadenz über die Steppe, schoss mit Zungen aus weiß glühenden Explosionen in die Nacht. Erschrocken blickte Tamuka hinunter, und auf der Ebene vor der Stadt sah er Blitze wie Perlen an einer Schnur auf sich zufahren. Ein Donnerschlag krachte auf der Kuppe des Hügels hinter ihm, und Tamukas Nackenhaare flatterten in der Druckwelle. Die Artillerie der Horde feuerte einen Salut für den Aufgang der Monde zum Monat Cagarv, und dieser Aufgang markierte den traditionellen Tag des Aufbruchs zum Ritt eines weiteren Jahres.
Die Donnerschläge bereiteten ihm Sorge. Die Kontemplation und das Fasten, der Singsang der Schamanen, der erste Ruf nach Shaduka und dann der große Jubel über das Erscheinen Ulma Karzorms – das waren Traditionen der Horde. Inzwischen hatte die Horde jedoch auch die Geschütze des Viehs in diese Traditionen eingefügt, als genügten die Stimmen der Merki nicht mehr, die nach den Geistern ihrer Ahnen riefen, und als müssten zugleich die Donnermacher abgefeuert werden, um die Aufmerksamkeit der Ahnen zu finden.
Tamuka, der Schildträger, schnaubte vor Abscheu. Er rührte sich und blickte sich um. Hulagar, Schildträger des Qar Qarth Jubadi, sah ihn an und nickte, als verstünde er.
»Die Kontemplation wurde gestört«, seufzte Hulagar.
Tamuka sagte nichts dazu.
»Komm, sonst fangen sie noch ohne uns an«, sagte Hulagar, und begleitet vom Knacken der Gelenke und der Lederrüstung stand der Schildträger auf und reichte Tamuka die Hand, der sich ebenfalls erhob, um ihn zu begleiten. Beide hoben sie die ovalen Bronzeschilde ihrer erhabenen Ämter auf und hängten sie in das Geschirr auf der rechten Schulter.
»Trotzdem war es ein Augenblick des Staunens«, fand Hulagar, blickte erst zu den zwei Monden hinauf und dann hinaus über die hoch schlagenden Feuer auf der weiten Steppe, die sich hinter der Viehstadt Cartha ausbreitete.
Bis zum fernen Horizont brannten die Feuer. Während seiner Geisterwanderung zuvor hatte er sich in die Luft geschwungen und wie aus großer Höhe hinabgeblickt, und er sah mit den Augen der Geisterahnen, wie die Macht der Merki die gewaltige Landschaft mit ihrem Licht erfüllte.
»Ich hoffe, die Väter unserer Väter blicken auch nächstes Frühjahr wieder zu einem solchen Anblick hinab, wenn sich die Horde erneut zum Ritt aufschwingt«, flüsterte er.
»Das werden sie«, sagte Tamuka, und seine Stimme kam aus weiter Ferne.
Hulagar blickte ihn an und lächelte, und seine Fangzähne glitzerten im Mondlicht.
»Es schickt sich nicht für die beiden Schildträger des königlichen Blutes, wenn sie zu spät kommen«, sagte er und legte Tamuka voller Zuneigung die Hand auf die Schulter, als sie die Anhöhe hinaufschritten.
Der Duft des frischen Grases und der Blumen stieg mit jedem Schritt in der kühlen Nachtluft auf. Im Mondlicht verfärbte sich das Feld mit den weißen Blütenblättern des Etors tiefrot, jener Wildblume des Frühlings, die auf die ersten Blüten von Lavendel und Gelb folgte.
Dieser Duft weckte unausweichlich Erinnerungen an den jährlichen Aufbruch der Horde, wenn sie aus dem Winter erwachte. Die Fohlen waren geboren, die Jurten wurden wieder auf die von Pferden gezogenen Wagen gehoben, und geschlossen wandte sich die Horde nach Osten, wobei die Krieger vor ihr ausfächerten, um nach Wild zu jagen, oder nach Norden oder Süden ausschwenkten, zu den Tugaren oder Bantag, je nachdem, gegen wen im laufenden Jahr Krieg
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