Die Rache der Horden

tief in die vier Himmelsrichtungen. Obwohl er sich ehrenvoll zurückgezogen hatte, war für die draußen Stehenden erkennbar, dass er zur Unzeit die Stimme erhoben hatte – war er doch nur Schildträger des Zan Qarth und damit nicht unangreifbar wie Hulagar. Die gewaltige Versammlung vor dem Zelt zeigte ihm die angedeutete Verneigung, die seinem Rang entsprach, aber niemand sprach ihn an. Schließlich war er ein Schildträger und damit Gegenstand abergläubischer Ehrfurcht, wiewohl offenkundig war, dass er zurzeit nicht in höchster Gunst stand.
    Zu den Mondfesten war nur es nur allzu üblich, zornige Worte zu wechseln. Dutzende von der Horde würden noch im Laufe der Nacht zu Tode kommen, wenn seit langem schwelende Leidenschaften explodierten, entflammt durch ein Übermaß an Speise und starken Getränken. Wenn der Morgen und die Kopfschmerzen kamen, waren solche Streitigkeiten meist vergessen oder vergeben, aber so weit es den Zorn des Qar Qarth anbetraf, war man klug beraten, den Gegenstand dieses Zorns zu meiden, bis dessen Schicksal entschieden war.
    Er durchschritt den Ring der Zungenlosen und ging weiter in die Dunkelheit, wieder die Anhöhe hinauf, von der aus er den Aufgang der Monde verfolgt hatte. Heiseres Lachen und die Lieder der Sangeskundigen folgten ihm. Als er wieder hinunter auf die gewaltige Ebene blickte, war sie bis zum Horizont mit Licht überspült, und die zeremoniellen Freudenfeuer zum Gruß Ulma Karzorms dienten jetzt zum Braten, während die aufgespießten Leiber des Viehs darüber kreisten.
    Tamuka spürte die gespannte Kraft seines Volkes, der Horde, die seit Hunderten Generationen um die Welt ritt und dabei stets zum Mondfest des Frühlingsgrases feierlich den bevorstehenden Aufbruch beging. Nur ein anderer Augenblick war noch wichtiger, der Tag des ersten Mondfestes vor Barkth Nom, wenn alle Völker der Horden wie eine einzige Heerschar zu Füßen der Berge standen, Fackeln in den Händen, und die Stimmen zum Lobpreis der Ahnen erhoben, die dort oben hausten, und zur Stärkung der noch namenlosen jungen Männer, die in jener Nacht zum ersten Mal in die Berge steigen würden. Ihn schauderte innerlich, als er daran zurückdachte: wie er die Höhen erreichte und zurück auf das Lichtermeer in der Tiefe blickte, in dem jede Fackel eine Seele symbolisierte, das gemeinsame Licht hell wie der Tag, während die Stimmen aller wie Donner zu den Gipfeln aufstiegen.
    Er spürte diese Macht jetzt wieder, wie er dort über die Steppe hinausblickte. Morgen würden sich fünfundzwanzig Umen, zwei davon Tugaren, nach Nordwesten wenden, drei Tage später gefolgt von sieben weiteren Umen, die sich direkt nach Norden den Weg durch die Höhen suchen würden. Zwei Umen hatten bereits über den vergangenen Monat hinweg über die Meerenge gesetzt und waren auf dem Marsch, um Roum heimzusuchen. Die restlichen fünf Umen hielten sich vorläufig als Reserve zurück und beugten so der Gefahr vor, dass sich die Bantag auf ihrem Marsch doch zur Umkehr entschlossen, um den Merki in den Rücken zu fallen.
    Es würde funktionieren, es musste einfach funktionieren, denn eine Alternative gab es nicht. Wurde der Marsch nach Norden und Osten auch nur für eine Jahreszeit aufgehalten, sah sich die Horde im Herbst mit dem Hunger konfrontiert. Im Übrigen bestand stets die Gefahr, dass die Bantag sich letztlich auch nach Norden wandten und in einem Jahr den Marschweg der Merki querten. Also mussten die Merki durchbrechen, bis zum Herbst nach Roum vorgedrungen sein und bis ins Jahr darauf das Doppelte der üblichen Entfernung überbrückt haben.
    »Sein Zorn wird wieder abkühlen, Schildträger; es war nur die Macht des Trunkes.«
    Tamuka warf sich herum, erschrocken darüber, dass sich ihm jemand hatte nähern können, ohne dass er ihn hörte.
    »Der Schildträger bei Euch ist eine seltsame Institution«, fuhr Muzta Qar Qarth fort und trat an Tamukas Seite, während ein leises Lächeln um seine Lippen spielte, weil er Tamuka hatte überraschen können.
    Tamuka sagte nichts, sondern verneigte sich tief, obwohl er hier den Qar Qarth der in Schande gefallenen Tugarenhorde vor sich sah.
    »Wenn ich an die vergangenen Ereignisse zurückdenke, erblicke ich einen Sinn darin, auf jemanden wie dich zu hören. Hätte mir allerdings vor fünf Jahren jemand gesagt, ich bräuchte jemanden, der zu mir spräche und auf den ich hören müsste, dann hätte ich gelacht.«
    Muzta schüttelte den Kopf, blickte auf seine Stiefel hinab und