Die Rache der Jagerin
in Ordnung halten konnte? Oder meine Beziehung zu meinem … ja, was nun? Ich konnte nicht mal benennen, was Wyatt für mich war. Mehr als ein Freund, aber weniger als ein Liebhaber. Ein bester Freund, für den ich ohne zu zögern sterben würde, und jemand, dem ich eher die Zähne einschlug, als ganz und gar ehrlich zu ihm zu sein. In diesem verwirrenden Zwiespalt saß ich fest.
Vier Jahre lang war es ein rein professionelles Geben und Nehmen zwischen Jäger und Handler gewesen. Und durch einen einzigen Moment der Schwäche meines alten Ichs war alles verkompliziert worden – durch den Kulminationspunkt eines Kummers, der in den zwei vorangegangenen Monaten entstanden war, in denen sich unser Verhalten geändert hatte und unbestimmte Spannungen zwischen uns getreten waren. Dazu war die körperliche Anziehung gekommen, die Wyatt auf eine Frau ausgestrahlt hatte, die so einsam und deprimiert gewesen war, dass sie sich lieber umgebracht hatte, als sich mit dem Leben auseinanderzusetzen. Eine besondere Note verlieh dem Ganzen noch die Tatsache, dass mir jede Wunde, die ich einem Dreg – verdienter- oder unverdientermaßen – jemals beigebracht hatte, von der Koboldkönigin und ihrem notgeilen Schergen reichlich zurückgezahlt worden war. Das alles mit meiner verletzten Waisenseele abgeschmeckt, und fertig war der feuchte Traum eines jeden Psychiaters.
Ich mache dir keine Vorwürfe, dachte ich. Die Worte lagen mir auf der Zunge. Doch wenn ich ehrlich war, machte ich ihm Vorwürfe. Nicht für all das, was zu meinem Tod geführt hatte, sondern für alles, was danach geschehen war. Dafür, dass ich allein und frierend auf dem Obduktionstisch im Leichenschauhaus aufgewacht war, und dafür, dass ich Alex Forrester in mein Leben hineingezogen hatte, was ihn das Leben gekostet hatte. Für die Schlacht im Altmühl-Gehege, in der sechs Jäger gefallen waren. Und vor allem für dieses gottverdammte Kribbeln im Bauch, das ich verspürte, wann immer er mich anlächelte. Für den Umstand, dass es mich tröstete, wenn er einfach meine Hand hielt, und für die herrlichen Erinnerungen an seine Küsse. Für all die Dinge, die ich immer und immer wieder spüren wollte.
Seit meiner Wiederauferstehung war ich pausenlos gehetzt gewesen, war herumgerannt und hatte ein Problem nach dem anderen gelöst. Lediglich vor vier Tagen in der Ersten Kluft hatten Wyatt und ich eine Chance gehabt, herauszufinden, was das mit uns war. Umgeben von der Friedfertigkeit und Heiterkeit der Holden und in dem Bewusstsein, vor unseren Verfolgern sicher zu sein, waren wir endlich ehrlich zueinander gewesen. Zumindest so ehrlich es mir möglich gewesen war – schließlich hatte ich Chalices Körper damals bloß leihweise getragen und war der Überzeugung gewesen, dass wir nur noch einen Tag zu leben hatten.
Aber jetzt? Wir hatten die Schlacht beide überlebt, um geradewegs in den nächsten Konflikt geworfen zu werden – der schon länger schwelte, als wir geahnt hatten. Dabei hatten wir keine Zeit gehabt, über uns nachzudenken. Solange wir auf Phins Anruf warteten, hatten wir Zeit. Doch nun, da sich die Gelegenheit dazu bot, wollte ich alles andere lieber tun, als über uns nachzudenken. Oder über mich. Ich wollte ausschließlich an unsere nächste Mission denken.
Denn mit der wurde ich um einiges leichter fertig.
»Ich will dich nicht zu Brei schlagen, Wyatt«, sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln. »Du nutzt mir nicht viel, wenn du ohnmächtig bist und blutest.«
Er kniff die Augen zusammen. »Könntest du bitte ernst sein?«
»Ich meine es ernst!« Ich sprang auf und stapfte quer durchs Zimmer. Als ich die Tür erreichte, drehte ich mich zu ihm um. »Auf dich sauer zu sein hilft mir nicht. Mir hilft es nicht einmal, wenn ich auf mich selbst sauer bin. Der Einzige, auf den ich gerade verdammt noch mal sauer sein will, ist dieser Call, denn dieses Arschloch ist für all unsere Probleme verantwortlich.«
»Call ist nicht unser Problem, Evy.«
»Ach nein? Wenn er nicht mit dieser Sache in Park Place dazwischengekommen wäre, hätte ich die Informationen wahrscheinlich schon erhalten, die ich brauche, um Rufus vor der Zusammenkunft zu retten. Und ich hätte vielleicht sogar Zeit gehabt, einen Tag zu schlafen, ohne dabei gebrochene Beine und Vergiftungen durch chemische Dämpfe auskurieren zu müssen.«
»Stellst du dich absichtlich dumm?«
»Wie bitte?« Schäumend und mit geballten Fäusten machte ich drei Schritte auf ihn zu. Er stand auf,
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