Die Rache der Jagerin
Stunde her«, erklärte Kismet und drehte sich dabei wieder zu mir. »Kann noch eine Weile dauern, bis wir was von dem Chirurgen hören.« Mir war klar, was sie damit sagen wollte.
»Meinst du, es stört jemanden, wenn ich mich selbst entlasse?« In der spiegelnden Oberfläche eines Instrumententabletts betrachtete ich mich. In meinem Gesicht waren keine Schrammen mehr zu sehen, nur ein paar Rußflecken. Ich wischte sie mit dem Handrücken weg.
»Nicht, wenn deine Patientenakte verschwindet.« Als ich erneut zu ihr hinübersah, lächelte sie. »Willst du, dass Tybalt dich begleitet?«
»Ich begleite sie.« Aus dem Nichts erklang Phins Stimme. Sie war so nah, dass ich meinte, er müsse direkt hinter mir stehen. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse, entdeckte ihn aber erst, als er mit vor dem Leib gefalteten Händen hinter dem Vorhang hervortrat und mich mit lebhaftem Blick fixierte. Ein freches, fast auch entschuldigendes Lächeln umspielte seine Lippen, die noch immer davon zeugten, dass ich vorhin die Beherrschung verloren hatte. »Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe.«
»Was? Diesmal kein Auftritt, bei dem ein Auto demoliert wird?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich achte peinlichst darauf, pro Woche höchstens ein Auto zu verschrotten.«
»Gut zu wissen, aber ich brauche deine Begleitung nicht, Phin. Geh und pass auf Aurora und Joseph auf, während ich meine Arbeit mache.«
»In deiner Wohnung sind sie ziemlich sicher, Evangeline.« Er linste kurz zu Kismet hinüber, bevor er wieder mich anschaute. »Es war nicht meine Absicht, dich über irgendetwas im Unklaren zu lassen.«
»Absicht hin oder her, du hast bekommen, was du wolltest, oder nicht?«
»Und wenn du Erfolg hast, bekommst du ebenfalls, was du willst. Aber die Zeit arbeitet gegen dich, und bei den Clans verfüge ich über Kontakte und Mittel, die weit über die der Triaden hinausgehen.«
Ich machte ein finsteres Gesicht, weil er recht hatte. Trotz allem traute ich ihm nach der Aktion im Wartezimmer nicht mehr über den Weg.
»Ich hege gegenüber Rufus St. James keinen persönlichen Groll«, fuhr Phin fort. »Ich kenne ihn ja gar nicht. Aber er repräsentiert diejenigen, die mein Volk vernichtet haben. Liefere mir ein anderes Ziel, und ich werde meinen geballten Hass darauf richten und Mr. St. James nie wieder schief anschauen.« Wie ein neugieriger Papagei legte er den Kopf ruckartig auf die linke Schulter. »Lass mich dir helfen.«
Ich studierte das tiefe Blau seiner Augen in der Hoffnung, darin einen Anhaltspunkt zu finden, ob er es ernst meinte. Den Schimmer einer Emotion oder einen Hinweis auf seine wahren Absichten. Doch alles, was ich sah, war diese lebendige und wunderschöne Farbe, in der man sich verlieren konnte.
»Um Himmels willen, Stone«, schaltete Kismet sich ein. »Nimm ihn schon mit. Dann weiß ich wenigstens, dass du nicht alleine unterwegs bist, wenn du die Stadt ins Chaos stürzt.«
»Ich brauche keinen Babysitter«, grummelte ich.
»Und wie wäre es mit einem Partner?«, fragte Phin.
»Ich hatte zwei Partner. Und beide sind wegen mir gestorben.«
Er zog die Brauen so hoch, dass sie auf seiner Stirn zwei identische Halbkreise bildeten. »Wie wär’s dann mit einem nervigen kleinen Bruder, den man nicht loswird?«
Nach menschlichen Maßstäben schien er ungefähr so alt zu sein wie ich, vielleicht etwas älter. Da Werwesen jedoch anders alterten als Menschen, hätte er genauso gut auch erst zehn sein können. Nur wenige Werwesen überschreiten das zwanzigste Lebensjahr, und ich hatte noch nie von einem gehört, das älter als fünfundzwanzig gewesen wäre. Von daher konnte es sogar gut sein, dass ich mehr Jahre als Joseph auf dem Buckel hatte. Das war … leicht beunruhigend.
»Na schön, du kannst mitkommen«, lenkte ich ein, da ich nicht mehr weiterstreiten wollte. Offenbar waren er und Kismet sich sowieso einig, dass er meinen Schatten spielen sollte.
»Hast du dein Handy noch?«, fragte Kismet.
»Ja.«
»Lass es eingeschaltet. Sobald ich Neuigkeiten habe, rufe ich dich an.«
»Dito.«
»Wie sieht’s mit dem Wagen aus?«
Ich kicherte. »Du kannst in dem Schrotthaufen da unten ja mal nachschauen, ob du den Schlüssel findest.«
»Ich habe ein Auto«, meldete sich Phin.
»Tatsächlich?«
»Ich bewege mich schließlich nicht bloß in der Luft. Früher habe ich alles getan, um wie ein ganz normaler Mensch zu erscheinen, ich hatte einen Job und all so was.«
»Einen Job als was? Als Model
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