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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Medling
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ausgeräuchert wird. Und weil das schlecht fürs Baby ist, können wir dort solange nicht bleiben.«
    »Gut.« Fast dieselbe Geschichte hatte ich mir für sie ausgedacht.
    Noch immer war die Tür zu Alex’ Schlafzimmer geschlossen und bildete eine Barriere zwischen mir und dem bekümmerten Vater, den ich nie zuvor gesehen hatte und der mir trotzdem so vertraut erschien, als würde ich ihn schon mein ganzes Leben lang kennen. Die Beziehung zwischen Alex und diesem Mann, der so leicht reizbar und gewalttätig war, konnte ich mir ungefähr vorstellen. Schließlich drängten sich einem da beliebig viele Klischees auf, und ich hätte gerne gewusst, welche davon genau zutrafen.
    Ich klopfte an die Tür. Da mir niemand antwortete, ging ich einfach so hinein. Leo saß mit dem Rücken zu mir auf dem Bett und blätterte in einer Art Album. Ich ging um das Bett herum, um ihm nicht zu nahe zu kommen, ihm aber auch nicht allzu auffällig auszuweichen. Er hatte eine Seite mit zwei Schwarzweiß-Fotografien aufgeschlagen. Auf der einen waren ein Mann und eine Frau, wahrscheinlich ein Pärchen, und zwei kleine Kinder zu sehen. Ein vielleicht dreijähriges Mädchen mit Zöpfen grinste in die Kamera, und die Frau hielt ein Kleinkind im Arm. Wenn man sich die Haare und das Lächeln wegdachte und dafür knapp zwanzig Jahren zusätzlicher Lebenserfahrung hinzufügte, hatte man ein Abbild von Leo Forrester.
    Das zweite Foto zeigte die beiden Kinder, inzwischen älter. Das Mädchen war vielleicht zehn und hatte die Haare glatt gekämmt. Und der Junge war Alex – selbst in dem Alter hatte er bereits diesen Blick gehabt, an dem ich ihn sofort erkannte. Beide lächelten gezwungen in die Kamera.
    Mir wurde flau, und mein Herz raste. Alex hatte eine Schwester. Hatte Chalice davon gewusst? Die Information fühlte sich zumindest nicht vertraut an, und in meinem Innern fand sich kein Bild von ihr als erwachsenem Menschen. Also waren wir uns nie begegnet.
    Leo berührte das Gesicht der Frau, bei der es sich vermutlich um seine Frau handelte. Dabei bebten seine Finger. »Ich wette, er hat dir erzählt, es wäre meine Schuld gewesen«, sagte er, ohne zu mir aufzublicken.
    Oh, nein. Schmerzvolle Bekenntnisse von diesem Mann hatten mir gerade noch gefehlt. Schließlich hatte ich wahrlich schon genug Probleme. Bitte, keine weiteren Dramen aus Chalices Leben! »Er hat gar nichts erzählt«, erwiderte ich. »Darüber hat er nicht mit mir gesprochen.« Das entsprach ziemlich genau der Wahrheit, auch wenn ich keinen Schimmer hatte, worum es ging.
    Leo klappte das Album zu und drückte es gegen seine Brust. »Ich wollte ihm immer die Wahrheit sagen, Chalice. Ich muss die Gelegenheit dazu bekommen.«
    Tränen brannten in meinen Augen, und ich musste schlucken. Verzweifelt kämpfte ich gegen die Trauer. Ich wollte Leo so gern trösten, ihm etwas Hoffnung spenden und ihm sagen, dass er die Gelegenheit erhalten würde, weil Alex bald wieder auftauchen würde. Doch ich arbeitete und lebte in einer ziemlich beschissenen, hoffnungslosen Welt und vermochte ihm keinen falschen Trost zu geben. Dadurch würde es nur noch schmerzhafter für ihn, das Unvermeidliche anzuerkennen.
    »Ich muss wieder zur Arbeit«, sagte ich.
    Abrupt riss er den Kopf herum, so dass ihm fast die Brille von der Nase fiel. Er musterte mich von oben bis unten, und sein Blick verharrte auf dem alten Verband, der eine Wunde bedeckte, die bereits verheilt war. Verdammt. Ich hätte ihn abmachen sollen. Über sein zerfurchtes Gesicht huschte ein Ausdruck von Misstrauen, gefolgt von etwas anderem – einer Art neugieriger Skepsis. Mit diesem Blick hatte ich schon unzählige Male Verdächtige angesehen und mich dabei gefragt, ob ich mich auf die Informationen, die ich aus ihnen herausgeprügelt hatte, verlassen konnte oder nicht.
    »Ohne dich läuft im Kaffeeladen nichts, was?«, fragte er.
    Wie zum …? Vielleicht hatten Leo und Alex sich öfter unterhalten, als ich angenommen hatte. »Es geht nicht um den Kaffeeladen. Es ist etwas anderes, das ich nebenher mache. Etwas fürs Studium.«
    »Ich dachte, das Semester wäre zu Ende.«
    Okay, jetzt war ich es, die sich wie in einem Verhör vorkam. Wie hatte er das nur gemacht?
    »Aurora hat die Telefonnummer, unter der du mich erreichen kannst«, entgegnete ich. »Wenn du irgendetwas hörst, ruf mich an.«
    »Ebenso.«
    Es war nur ein Wort, aber es klang so anklagend. So als wüsste er, dass ich ihm etwas verheimlichte. Ich beließ es dabei und ging

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