Die Rache der Kinder
mich betrifft, wirst du sowieso nie wieder trinken müssen.«
Kate brachte ein Nicken zustande. »Bitte.«
Jack war grob und drückte Kate den Becherrand gegen die Vorderzähne. Wasser schwappte heraus und lief Kate übers Kinn und auf ihren blauen Rollkragensweater, den sie vor scheinbar einer Ewigkeit zu Hause angezogen hatte. Aber wenigstens schien das Wasser sauber zu sein, und sie schluckte, so viel sie konnte. Wer konnte schon sagen, wann sie das nächste Mal etwas zu trinken bekam.
»Gut«, sagte Jack und richtete sich wieder auf.
Roger drehte sich wieder Kate zu, das Klebeband in der Hand.
»Ich muss pinkeln«, sagte Kate rasch.
»Pech«, erwiderte Roger.
»Ich muss wirklich«, sagte Kate.
»Dann piss doch.« Jack stellte den Becher auf die Eichentruhe. »Es ist dein Sofa.«
Kate errötete. »Was wollt ihr eigentlich von mir?«
»Das ist einfach«, sagte die Frau mit Namen Roger.
»Wir wollen dich bestrafen«, erklärte der Mann mit Namen Piggy.
»Aber wofür? «, fragte Kate.
»Weißt du das immer noch nicht?«, fragte die Frau mit Namen Simon.
Kate schüttelte den Kopf und versuchte, sich an die Kolumnen zu erinnern, die sie geschrieben hatte, nachdem sie und Rob das Drama mit ihrem Baby hatten überstehen müssen.
»Weil du den Mord an Unschuldigen unterstützt«, sagte Roger.
Sie stand auf, streckte die Beine und steckte den gebrauchten Klebestreifen in eine der vielen Taschen ihres Overalls.
»Ihr wollt mich bestrafen …« Kate sprach langsam und versuchte, allem zu folgen. Sie musste dem hier einen Sinn entnehmen. Sie musste wissen, auf welch kranke Art ihre Artikel zu diesem Albtraum geführt hatten, denn wenn sie das verstand, war es vielleicht der erste Schritt hier raus. »Ihr wollt mich bestrafen, weil ich ein paar Artikel über Abtreibung geschrieben habe?«
»Du hast mehr als nur darüber geschrieben, nicht wahr?«, sagte Simon.
Plötzlich erkannte Kate, was sie von ihr dachten.
Das war nicht überraschend; schließlich hatte selbst Rob damals das Gleiche angenommen.
»Ich hatte keine Abtreibung«, sagte sie. »Wenn es euch darum geht …«
»Lüg nicht. Wir wissen, dass du eine Abtreibung gehabt hast.« Simons Überzeugung war unerschütterlich, denn Ralph hatte ihnen die Fakten gegeben, und ihr Häuptling log sie niemals an.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kate den Eindruck gehabt,dass Simon sanfter war als die andere Frau, doch nun hatte die Frau ihre behandschuhten Hände zu Fäusten geballt, und die unterschwellige Erregung in ihrer Stimme war sehr beunruhigend.
»Ich hatte eine Fehlgeburt«, sagte Kate und bemühte sich, Ruhe zu bewahren.
»Halt’s Maul, Schlampe«, sagte Jack.
»Halt’s Maul, Monster«, sagte Piggy.
Ja, da hatte auch irgendetwas von einem Monster in dem Roman gestanden. Aber was, um Himmels willen, hatte das mit ihr zu tun? Was hatte es überhaupt mit irgendetwas zu tun? Doch was Kate mehr ängstigte als alles andere, war das Gefühl, dass sie diesen Leuten erst gar nicht mit der Wahrheit kommen musste, denn sie würden ihr nicht glauben – sie wollten nicht. Und hätte sie ihre Augen sehen können, hätten diese vermutlich voller Unglauben gefunkelt.
Mit solchen Leuten konnte man nicht diskutieren.
31. Ralph
Ralph schrieb in ihr Tagebuch:
Selbst jetzt noch, da das Spiel läuft, kann ich mich nur schwer entscheiden, welches meiner beiden Monster ich mehr verachte: die Frau, die damit prahlt, ihr ungeborenes Kind getötet zu haben – und mit ihren anderen Sünden –, oder die Frau, die ihren Sohnin einem Heim wegsperrt, während sie im Schutz ihrer wohlhabenden Eltern lebt.
Das Heim war natürlich der Knackpunkt für die Gruppe gewesen, womit Laurie Moon die schlimmere der beiden war.
»Kein Vergleich.« Das waren Jacks Worte.
Dieses Spiel war ganz anders, von Anfang an.
Und das nicht nur, weil es Ralphs eigenes war und sie nicht nur alles beaufsichtigte wie sonst, sondern vollständig plante und organisierte.
Sie spielten es gemäß ihrem »Drehbuch«. Natürlich improvisierten sie auch, je nachdem, wie die Situation sich entwickelte – und wenn es eines gab, was sie alle inzwischen gelernt hatten, dann dass die Umstände einen Plan bisweilen dramatisch ändern konnten. Manchmal konnte das sogar gut sein oder faszinierend. In jedem Fall war die Gruppe dann gezwungen, ihr volles Potenzial auszureizen und die Risiken zu erhöhen.
Die Risiken zu erhöhen …
Es war ihr Spiel, und es waren ihre Monster, doch sie waren diejenigen, die
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