Die Rache der Kinder
hinging, da folgte Piggy.
Ralph dachte an Roger.
Sie war nun allein mit dem ersten Monster.
Keine Anrufe, es sei denn, es war notwendig – darauf hatten sie sich geeinigt.
Ob ihre geistige Gesundheit wohl als Notwendigkeit galt?
Ralph griff nach dem Telefonhörer und wählte Rogers Nummer.
40. Das Spiel
Es war das erste Mal seit Beginn von Kates Martyrium, dass das Telefon klingelte.
Roger nahm das Handy vom Gürtel, schaute aufs Display und drückte einen Knopf. »Ist was?«, fragte sie kurz angebunden.
Kate versuchte, eine Stimme am anderen Ende zu hören, etwas, das ihr helfen könnte, wenn das alles vorbei war, doch obwohl die maskierte Frau nur gut einen Meter vom Sofa entfernt war, konnte sie noch nicht einmal ein Flüstern hören.
»Alles verläuft nach Plan.« Roger hörte einen Augenblick zu. »Keine Probleme, Häuptling.«
Sie klang nun weniger hart. Tatsächlich lag in ihrer Stimme sogar ein Hauch von Wärme, dachte Kate, und von Respekt.
Häuptling … Das führte Kate wieder zu dem Roman zurück. Auch wenn diese Namen nur Tarnung waren, musste es doch einen Grund dafür geben, warum sie sich ausgerechnet dieses Buch ausgesucht hatten, wenn auch nur, weil sie – oder vielleicht ihr »Häuptling« – es mochten. Womöglich waren sie auch von ihm inspiriert worden, von den Schrecken der Geschichte, der Gewalt …
»Viel später«, sagte Roger und beendete das Telefonat.
Kate machte ein Geräusch in dem Versuch zu kommunizieren. Sie wollte das Beste aus dieser Zeit machen, in der nur einer von der Bande anwesend war, eine Frau, auch wenn sie sehr stark war.
»Willst du mit mir reden?«, fragte Roger.
Kate nickte.
»Pech.«
Kate machte ein weiteres flehentliches Geräusch.
»Willst du immer noch pinkeln?« Roger zuckte mit den Schultern. »Ich muss deinen Gestank nicht unbedingt haben.«
Sofort schmiedete Kate im Geiste Pläne: Sobald ihre Füße frei waren, würde sie treten . Und auf was sollte sie zielen? Was war der verwundbarste, am leichtesten zu erreichende Teil der Frau? Ihre Beine, nahm sie an, und sie hatten ihr auch nicht ihre schweren Schuhe abgenommen – also konnte sie verdammt harte Treffer landen.
»Du wirst allerdings kriechen oder hüpfen müssen«, sagte die Terroristin und machte damit jede Hoffnung zunichte.
Gott, es tat so weh, sich aufzurappeln, denn ihre Beine hatten sich versteift und die Fesseln die Blutzirkulation abgeschnürt.
Wenigstens war ihr Geist noch frei. Wenn Roger ihr auch nicht die Hände losband, würde die andere Frau ihr die Jeans runterziehen müssen, was hieß, dass sie sich würde bücken müssen, und dann könnte Kate …
Nichts , erkannte Kate. Ich könnte gar nichts.
Es gab nichts, was sie hätte tun können, solange ihre Hände auf dem Rücken gefesselt waren; sie konnte nur pinkeln und dankbar dafür sein.
Von wegen. Sie würde dieser Hexe nur dankbar sein, wenn sie sie losbinden und gehen lassen würde.
Wenn sie sie leben lassen würde.
Und danach würde Kate wieder aufhören, dankbar zu sein, bis die Polizei das Weib eingelocht hätte, sie und den Rest dieses Abschaums.
41. Ralph
»Viel später.«
Ralph wusste, dass sie nicht hätte anrufen sollen.
Die besorgte Mutter, die einfach nicht loslassen konnte.
Nein, sie war nicht ihre Mutter.
In Wirklichkeit war sie noch nicht einmal mehr ihr Häuptling . Sie konnte Pläne schmieden, aber nicht mitmachen, und sollte sie es doch versuchen, wäre sie nur eine Last.
Ralph fragte sich erneut, wie sie mit der Belastung zurechtkamen – nicht Jack, aber die anderen.
Nur wenn es aufs Ende zuging, würde es vielleicht auch Jack zusetzen.
Immerhin war er »nur« ein Einbrecher. Das hatte er selbst gesagt.
Ein Baby, das man vor einem Einkaufszentrum ausgesetzt hat.
Unter der harten Schale, die er sich im Laufe der Jahre zugelegt hatte, verbarg sich ein weicher Kern. Nur inzwischen fühlte er, dass man von ihm erwartete, hart zu sein, und vielleicht erwartete er das auch von sich.
Ralph machte sich Sorgen um Jack. Sie machte sich Sorgen um sie alle.
Immerhin waren sie noch immer ihre Kinder.
42. Laurie
Da war eine Gasse, die sich von der Straße zur langen Zufahrt des Rudolf Mann House schlängelte – ein kleines Stück Straße und dahinter die schönste Aussicht der Welt, bei der einem das Herz aufging. Dann wand die Straße sich in einem dunklen, von Bäumen gesäumten Halbkreis, wo die Aussicht nicht zu sehen war, um dann wieder im silbrigen Licht des umliegenden Waldes
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