Die Rache der Kinder
wieder bittere Trauer in ihr aufkeimen, sodass sie eher schwächer als stärker wurde.
Marie war ein angenehmer Hausgast. Sie kümmerte sich um sich selbst, so gut es ging, und achtete darauf, Kate nicht in den Weg zu kommen. Drei Tage die Woche fuhr sie in ihrem umgebauten Nissan in Robs alte Schule und verbrachte Stunden mit Freunden oder Besorgungen. Außerdem überwachte sie den Wiederaufbau ihrer Wohnung und lehnte Hilfe größtenteils ab.
»Du gibst mir ein Heim«, sagte Marie. »Mehr kann niemand tun.«
Tatsächlich war Marie sogar der perfekte Hausgast. Trotzdem fragte sich Kate, ob sie sich mehr wie eine werdendeMutter fühlen würde, wenn sie das Haus in den letzten Wochen bis zur Geburt wieder für sich allein hätte.
»Du sollst nicht das Gefühl haben, dass du nicht gehen kannst, wenn deine Wohnung fertig ist«, hatte sie zwischen Weihnachten und Neujahr zu Marie gesagt. »Ich komme auch allein zurecht. Wann immer du wieder umziehen willst – ich würde mich für dich freuen. Ich komme schon klar.« Sie hielt kurz inne. »Im Augenblick kann ich aber nicht weiter sehen als bis zu dem verdammten Prozess.«
»Das ist nicht verwunderlich«, sagte Marie. »Und wenn es dir nichts ausmacht, dass ich noch ein bisschen bleibe …«
»Natürlich nicht«, warf Kate ein. »Es ist schön, dich um mich zu haben.«
»In dem Fall«, sagte Marie, »möchte ich bis zum Ende dieser schrecklichen Zeit bei dir sein – wie immer es ausgehen mag.«
Mit Ausnahme von Martin Blake war niemand ehrlich genug gewesen, Kate darauf hinzuweisen, dass der Prozess auch mit einem Fehlschlag enden könnte.
Nachdem seit dem Verbrechen so viel Zeit vergangen war, schien sich der Fliegen -Prozess, wie die Medien ihn genannt hatten, mit besorgniserregender Schnelligkeit seinem Ende zu nähern. Der 11. Februar, der für den Prozess angesetzte Termin, lag gerade noch innerhalb der Frist für die Untersuchungshaft des letzten Angeklagten, Edward Booth, Piggy. Der Anklage war es gelungen, die Regeln ein wenig zu beugen und die drei gemeinsam vor ein Schwurgericht zu bringen, anstatt sie in getrennten Prozessen abzuurteilen.
Ungeachtet der Zustimmung durch den Generalstaatsanwaltwaren sich Kate und Blake durchaus bewusst, dass die Anklage nach wie vor Bedenken hegte, den drei Angeklagten sowie der verstorbenen Carol Marsh und ihrem unsichtbaren Anführer zweifelsfrei eine Schuld nachweisen zu können. Kates Aussagen und die eindeutige Identifizierung der Täter hatten zwar zur Anklage geführt, doch konnte man diese Beweise in einem scharfen Kreuzverhör erschüttern.
»Ich habe das nicht alles durchgestanden«, sagte Kate zu Blake, »um mich jetzt vor Gericht nervös machen zu lassen.«
»Das bezweifle ich nicht«, erwiderte der Solicitor.
Sie wussten beide, dass es nur schöne Worte waren, um ihre wachsende Unsicherheit zu kaschieren.
Nach wie vor gab es zu wenig schlüssige Beweise. Die paar Ausgaben eines bekannten Romans, die jeder Angeklagte besessen hatte, bewiesen zunächst einmal gar nichts. Gleiches galt für die Tatsache, dass sie einige Zeit gemeinsam in einem Kinderheim verbracht hatten.
Die Geschichte mit dem Überfall auf den Zeitschriftenladen in Summertown war zwar hilfreich, aber auch kein wirklicher Durchbruch, zumal Mitcham tot war.
Nur einem Mitglied der Bande konnte man unwiderlegbar beweisen, dass es in Caisléan gewesen war, und das auch nur, weil besagtes Mitglied dort gestorben war.
Kates Eltern sowie Blake und Marie versuchten, ihr Mut zu machen.
»Sie würden die Anklage nicht aufrechterhalten«, versicherte ihr Michael, »wenn sie sich des Ausgangs nicht einigermaßen sicher wären.«
Einigermaßen.
»Was mich betrifft«, sagte Kate Anfang Januar zu Marie, »so wünsche ich mir manchmal, es würde gar keinen Prozess geben.«
»Du willst diese Leute einfach laufen lassen?« Marie schüttelte ihren ergrauten Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich an deiner Stelle so großmütig wäre.«
»Mit Großmut hat das nichts zu tun«, erwiderte Kate, »eher mit Feigheit. Sie wiederzusehen und alles noch einmal zu durchleben …«
»Aber du bist ein nachsichtiger Mensch«, sagte Marie, »sonst würdest du mich nicht hier wohnen lassen.«
Genau das war einer der Gründe, warum es Kate in Wahrheit gar nichts ausmachen würde, wenn Marie ging.
»Bitte«, erwiderte sie. »Hör auf.«
Sie hatte Marie wiederholt gesagt, dass sie ihr keine Schuld an Robs Tod gebe; doch ständig darüber zu reden war fast
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