Die Rache Der Nibelungen
Männer den Frieden wollten, dann würde es Einigung geben, davon war sie überzeugt! Vielleicht konnte Siegfried über Xanten herrschen, wie es sein Erbrecht war – und Wulfgar sich nach Island zurückziehen! Die kalte Insel kam seinem griesgrämigen Charakter weit mehr entgegen.
Die Wachen konnten kaum die Speere schnell genug zur Seite nehmen, als Xandria an ihnen vorbeieilte. Sie grüßten pflichtschuldig, doch die Prinzessin hatte kein Ohr dafür.
Die schwere Tür ins Schlafgemach des Königs hatte ihr immer Mühe bereitet, denn die groben Angeln brauchten Männerarme, um vollends aufgestoßen zu werden. Doch heute Nacht hatte Xandria alle Kraft der Welt, und mit ihrem ganzen zarten Körper warf sie sich gegen das Holz, das ächzend den Weg freigab.
»Vater!«, rief die Prinzessin. »Wach auf! Es gibt so vieles zu besprechen! Ich ...«
Sie hielt inne, und es dauerte ein wenig, bis ihre Augen im flackernden Licht einer einzigen Kerze erkannten, was geschehen war.
Wulfgar lag auf dem Rücken, das Laken von seinem fetten Körper gezogen. Die Augen waren geschlossen, doch er schlief nicht. Satt und rot färbte das Blut unter dem Bart aus dem Schnitt von Ohr zu Ohr das Bett, und die tödliche Klinge steckte wie zur Sicherheit in seiner Brust, das kalte Herz durchbohrend.
Auf dem Stuhl neben dem Bett saß ein Mann von ebenso dunkler Kleidung wie Hautfarbe. Er hatte die Beine unter seinem Rumpf gefaltet, die Augen geschlossen und schien leise zu beten. Er benutzte dabei eine Sprache, die Xandria noch nie gehört hatte und die mehr wie ein Singsang war.
Der Prinzessin wurde schwindelig. Die Grausamkeit der Tat, die unvorstellbaren Konsequenzen, sie überluden ihren Kopf mit wirren Gedanken und trieben das Blut aus ihren Wangen. Sie griff nach dem schweren Holz der Tür, um sich abzustützen.
Die zwei Türwachen traten nun zu ihr, vom plötzlichen Verstummen Xandrias gelockt. Auch die Getreuen des Königs verharrten nun einige Sekunden sprachlos.
Schließlich schrie einer.
»Der König ist tot! Wulfgar wurde ermordet!«
Es hallte durch die Gänge und fand die Ohren anderer Soldaten, die es weitergaben.
Als Xandria ausgesprochen hörte, was vor ihrem Auge ausgebreitet war, knickten ihr die Knie ein, und in gnädiger Ohnmacht stürzte sie zu Boden.
Der Morgen begann still auf Siegfrieds Seite der Front. Er fand seine Generäle ausgeruht und bereit, die Marschbefehle für den Tag zu empfangen. Nebel lag noch auf dem Land, und das Gras war feucht.
»Wo ist Nazreh?«, wollte der Prinz wissen. Bisher hatte sein Freund noch keine Zusammenkunft verpasst. Doch niemand wusste eine Antwort.
Siegfried hatte nicht geschlafen, die ganze Nacht war sein Kopf angefüllt gewesen von Gedanken an Xandria und der Schlacht gegen das Heer ihres Vaters. Er war nun begierig, eine Lösung zu finden, so schnell es ging, und mit geringstem Leid für Volk und Soldaten. Dafür brauchte er seinen Freund und besten Ratgeber – immerhin hatte Nazreh ihn stets gedrängt, nicht nur auf das Schwert zu vertrauen.
Das Xantener Heer verhielt sich außergewöhnlich ruhig, es kam nicht einmal zu einzelnen Attacken an den üblichen, strategisch wichtigen Straßen. »Wulfgars müde Soldaten scheinen heute verschlafen zu haben«, scherzte einer der Generäle, als sie im großen Kommandozelt beieinanderstanden.
»Das hätten wir nutzen sollen«, scherzte Siegfried. »Doch erinnert es uns daran, dass die Xantener mit dem Rücken zur Wand kämpfen. Es bleibt ihnen wenig, als auf unsere Angriffe zu reagieren, und dabei zu hoffen, dass sie sich nicht aufreiben. Die Niederlage können sie allenfalls aufhalten, nicht aber verhindern.«
»Aushungern, das Pack«, knurrte Hederich, ein altes Schlachtross aus vielen Kriegen, das sicher auch ohne Sold an Siegfrieds Seite gestanden hätte – der Franke brauchte den Krieg als Lebenselixier. »Warum noch angreifen? Schneiden wir die Xantener noch zwei, drei Monate vom Rest der Welt ab, und sie werden nicht mal mehr die Schwerter heben können, wenn wir einmarschieren.«
»Das Leid des Volkes darf nicht gleich dem Leid der Soldaten sein«, mahnte Siegfried, in Gedanken beim Ausritt der letzten Nacht. »Xanten liegt am Boden, und wir kommen nicht, auf ihm herumzutrampeln.«
Seine Generäle warfen einander mürrische Blicke zu – was war der Sinn eines Krieges, wenn nicht die demütigende Unterwerfung des Gegners?
Die schnellen Hufe eines Pferdes waren zu hören – sicheres Anzeichen einer eintreffenden
Weitere Kostenlose Bücher