Die Rache Der Nibelungen
zog sich die Prozedur bereits seit sechs Monaten hin.
»Es ist Krieg, und Xanten darf keine Stunde länger als nötig ohne Führung sein«, sagte General Alban.
»Xanten sollte keine Stunde länger als nötig im Krieg sein«, stellte Xandria klar. »Schickt eine Botschaft an den Führer des feindlichen Heers, den Siegfried. Er möge an den Hof kommen, am besten heute noch.«
Selbst altgediente Generäle verstummten angesichts der ungeheuerlichen Order. Dass Siegfried den Tod Wulfgars befohlen hatte, galt als ausgemacht. Als Befehlsgeber war er im Stand des Königsmörders. Und den Königsmörder wollte Xandria in ihrer Nähe wissen?
Henk bat ums Wort und um Bedacht. »Dahinter mag eine kluge Strategie stecken – Siegfried glaubt, der Tod Wulfgars lässt ihm Xanten in den Schoß fallen. Doch seine Anwesenheit erlaubt uns, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und dafür zu sorgen, dass er den nächsten Sonnenaufgang nicht erlebt.«
Die Generäle begannen zu nicken, denn die Planungen bewegten sich damit wieder in vertrauten Bahnen.
»Nein!«, zischte Xandria wütend. »Kein Auge um Auge mehr, wenn es ein größeres Ziel zu verfolgen gibt. Die Leiche meines Vaters wird nicht weniger schnell kalt, wenn wir die Leiche seines Feindes danebenlegen.«
Einige der Generäle mochten glauben, die Prinzessin habe aus Trauer den Verstand verloren. Andere hatten von einer Frau nicht weniger Unvermögen erwartet, was Kriegsdinge anging. Doch Xandria ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihren Willen durchzusetzen gedachte. »Ich befehle nicht noch einmal die Entsendung des Kuriers. Und tragt Sorge, dass es eine Einladung ist, keine Order.«
Es war nicht nur die Liebe zu Siegfried, die neues Leben in Xandrias Adern pumpte. Der Tod ihres Vaters war kein Anlass zur Trauer. Das Leben hatte endlich die Last von ihrer Seele genommen, die sie sechzehn Jahre mit sich geschleppt hatte. Ihre Stärke, solange unterdrückt und verlacht, konnte nun ihr Recht verlangen. Wer in diesen Stunden in ihre Augen schaute, der sah keinen Zweifel, fühlte kein Zögern.
Xandria hatte die Krone nicht auf dem Haupt, aber sie regierte bereits das Land.
Am Mittag läuteten die Glocken des Doms, und davon weiter ins Land hinein. Dreimal, mit Pausen. Es verkündete den Tod des Monarchen und rief das Volk zusammen. Wer konnte, packte ein Bündel und machte sich auf den Weg zur Burg. Ausgenommen waren die Soldaten. Xandria wollte die Grenzen des Landes nicht preisgeben, bevor sie mit Siegfried gesprochen hatte.
Siegfried.
Sie brauchte ihn an ihrer Seite.
Die Sonne stand hoch über dem Horizont, als Xandria auf den breiten Balkon trat, der zur Ansprache an das Volk gedacht war. Sie trug ein einfaches Kleid, doch der juwelenbesetzte Gürtel zeugte bereits von ihrem neuen Stand.
Der Burghof war von Mauer zu Mauer mit Menschen gefüllt, und sie pressten sich aneinander, als würde gleich und nur hier Gold vom Himmel regnen. Auch außerhalb der Burg wimmelte es von Xantener Bürgern, die gekommen waren, um aus erster Hand die Nachrichten zu hören.
Selbst aus der Nähe, kaum einige Meter über dem Volk, konnte Xandria kaum Trauer in den Blicken sehen, nur unsichere Neugier.
Die Menschen hatten Wulfgar gehasst, das war offensichtlich, und sie wollten nicht den alten König beweinen, sondern einen neuen bejubeln. Einen Moment lang fragte sie sich, ob ihr Vater recht gehabt hatte, als er meinte, dass das Volk ihr ebenso wenig Liebe entgegenbrachte wie ihm.
Sie stand noch etwas im Schatten der Tür, die auf den Balkon führte. Alban war hinausgetreten und verlas den Menschen, was diese schon wussten. »Hört, Bürger von Xanten! Heute Nacht ist der König in Gnade abberufen worden, und in schwerem Leid galt sein letzter Gedanke seinem geliebten Volk.«
Die Menschen tuschelten, doch offenen Hohn wagte niemand.
»Mit dem Feind an der Grenze, dem bisher mutig widerstanden wurde, gebietet es die Stunde, hier und jetzt den Thron würdig zu besetzen. Wie es Blutlinie und Gesetz befehlen, geht die Krone mit diesem Tage an ... Xandria von Xanten!«
Nun trat Xandria vor, und ihr Herz wurde leichter, als die Menschen zu jubeln begannen. Erst verhalten, dann mit mehr Begeisterung. Arme reckten sich ihr winkend entgegen, hunderte von Kehlen riefen ihren Namen. Manche Menschen holten Tücher hervor und schwenkten sie.
Von hinten reichte Henk die Krone, in die man schnell einen Bogen eingenagelt hatte, damit sie Xandria nicht auf die Nase rutschte.
Alban nahm die
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