Die Rache Der Nibelungen
anflehten. Und der Überfall war nicht weniger als die gerechte Strafe für die Anmaßung sowohl von Brunhilde als auch Siegfried. Geschickt hatten sie versucht, sich ihrem Schicksal zu entwinden, bis ewiger Friede in Reichweite war. Sogar das Gold der Nibelungen hatte der junge Siegfried weise für sich eingesetzt, ohne dass die Geistwesen ihm beikommen konnten. Doch dann, als das Licht der Zukunft ihm offenstand, hatte Siegfried nach der Macht der Vergangenheit gegriffen, hatte mit Nothung und dem Blut der Väter wieder alles infrage gestellt.
Odin sah nicht ein, warum er den armseligen Menschen damit davonkommen lassen sollte.
Xanten brannte binnen Stunden, und die Schreie der Gequälten hallten über das Land, bis sogar Theudebalds Truppen an den Grenzen eilig flohen.
Nur Xanten, das hatte Odin den Horden befohlen. Den Rest der Erdenscheibe zu säubern, das war Aufgabe für einen anderen Tag.
Wichtiger noch als die Zerstörung des Reiches war jedoch das Schicksal seiner Herrscherin. Xandria war der Schlüssel – der Schlüssel zu Siegfried. Was Odin ihr antat, das schmerzte den Prinzen doppelt. Und so war es auch gedacht.
Aus diesem Grund kletterten an die hundert HordenZwerge an der Burgmauer hinauf, die Krallen in den Stein schlagend, und lugten in die Fenster, bis sie hinter einem den Schrei Xandrias fanden. Sie verstanden wenig, aber der Wert der Würde für die Menschen war ihnen vertraut, weil sie ihn wohl zu nehmen wussten. So schlugen sie die Königin nicht nur, sondern rissen ihr mit den Zähnen das Kleid vom Leib, verbogen ihre Krone und tatschten jene Stellen, die Xandria am meisten zu schützen suchte. Je mehr sie schrie, je mehr sie flehte, desto mehr feuerte es die Horde an.
Fünf, sechs Dämonen packten die junge Frau und trugen sie wie Kriegsbeute davon. Was noch am Hofe Xanten lebte, sah mit Grausen, wie die Königin nackt und besudelt mit den Eindringlingen im Erdreich versank, zuletzt ihre verzweifelte Hand nach oben gestreckt, als bitte sie um jemanden, der sie festhalten möge.
Sechs Nächte lang wütete die Horde, denn bei Tage mieden sie das Sonnenlicht, und am Ende war kein Reich mehr, wo einst Xanten war. Und was kein Reich war, das hatte auch keine Königin mehr.
Odin war zufrieden. Was Siegfried wollte, hatte er ihm genommen. Doch war der Göttervater nicht so voreilig, das erbarmungslose Spiel hier schon zu beenden. Zum Schicksal gehörte es, dass es zu wenden war. Siegfried hatte Nothung – und Odin ihm etwas gegeben, um das er kämpfen konnte.
Darum durfte Xandria nicht sterben. In Utgard bei der Horde leben, das war ihr nun bestimmt, und was die Horde mit ihr tat, das scherte Odin wenig. Nur leben musste sie.
Was sonst würde Siegfried zur Rache treiben?
Es war, als habe der Wolf auf ihn gewartet – er grüßte Siegfried von der Düne, auf der der Prinz ihn zuletzt gesehen hatte. Doch der Ruf des Tieres war mehr ein verzweifeltes, fast anklagendes Jaulen, wie der Prinz es noch nie gehört hatte. Als der Wolf sich sicher war, dass Siegfried ihn gesehen hatte, rannte er eilends in den Wald, Richtung Süden den Rhein hinauf.
Es war ein dunkler Vorbote dessen, was Siegfried erwartete, aber davon ahnte er nichts. Die Rückreise von Ballova war unbeschwert und ruhig gewesen, und in jugendlicher Freude hatte er auf dem Boot tagelang Nothung geschwungen und unsichtbare Feinde zu Dutzenden niedergestreckt.
Wahrlich, dem Siegfried war das Leben gut. Die Liebe einer Königin, gleich zwei Reiche mit Ehre und Respekt und die glorreiche Geschichte der Häuser von Xanten und Burgund im Blut. Das Schwert Nothung in seiner Hand war Zeichen dessen, was ihm zustand.
Er sehnte sich nach Xanten, nach Xandria, nach einer großen Feier für den gewonnenen Frieden.
Bis er den Rauch aufsteigen sah.
Zuerst dachte er an einen Waldbrand. Dann daran, dass Räuber vielleicht ein Gehöft angesteckt hatten.
Doch der Rauch war dicht, und wie ein schwarzer Vorhang zog er sich über den Horizont, dort, wo Siegfried Xanten wähnte. Als sein Boot einige weitere Biegungen des Rheins genommen hatte, ahnte Siegfried, dass etwas geschehen war, mit dem niemand mehr gerechnet hatte.
Xanten stand in Flammen!
Es hielt ihn nicht mehr im Boot. Er packte Nothung, sprang über Bord und schwamm zum Ufer. Die gute Strecke, die noch zwischen ihm und dem Reich lag, überwand er laufend, abwechselnd den Namen Xantens und Xan-drias rufend. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken, und es mischten sich Schuldgefühle
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