Die Rache Der Nibelungen
darunter. Das faulende Herbstlaub deutete darauf hin, dass er das Land viele Monate im Stich gelassen hatte, und es war nicht leichtfertig anzunehmen, dass das Geschehen mit seiner Abwesenheit zusammenhing.
Die Wälder um ihn herum waren niedergebrannt, seine Füße traten in Asche. Manches Haus schwelte noch vor sich hin, kein Karren stand mehr auf seinen Rädern. Vieh wie Mensch war verstümmelt worden und achtlos auf den Weg geworfen. So sehr es ihn traf – Siegfried nahm sich keine Sekunde, um stehen zu bleiben.
Er erreichte den Hof von Xanten außer Atem, doch nichts konnte ihn dazu bringen auszuruhen. Zwischen verbrannten und geschändeten Leibern bahnte er sich den Weg durch die Hallen, wo nur noch selten ein letztes Stöhnen zu hören war.
Er fand das Gemach seiner Königin, und er fand es leer.
Der Wahn griff nach seinem Geist, und mit aufgerissenen Augen sah er sich um. Wo war sie? Er schwang No-thung, als könnte es ihm gegen einen Gegner helfen, der das Schlachtfeld längst schon verlassen hatte.
Auf dem Boden entdeckte er das blutverschmierte Kleid, mit Rissen, die von Klauen zeugten. Er tauchte sein Gesicht hinein, und für einen letzten beruhigenden Augenblick konnte er sie riechen. Xandria. Der Duft von Rosen und Wein.
Dann brach er zusammen.
Für Stunden tränkten seine Tränen den Stoff, und No-thung, so mächtig wie hilflos, lag an seiner Seite. Während die Sonne unterging, rief der Wolf vom Wald her, und nun verstand Siegfried sein Klagelied.
Es war nicht schwer zu ahnen, dass die Götter ihn bestraften, auch wenn Siegfried nicht verstand, warum.
Irgendwann röchelte es vor der Tür, und ein gebrochener Körper schob sich nah genug an Siegfried heran, dass er ihn bemerkte.
Es war Alban. Oder ein grausam verzerrtes Abbild von ihm. Ein Bein fehlte, die Arme waren grotesk verdreht, und wo weise Augen einst in die Welt geblickt hatten, da waren nur noch blutige Löcher.
»Chhhe ... Chhhönigchin?«, röchelte er, und Siegfried erkannte, dass seine Zunge faserig gespalten war.
Der Prinz fand die Kraft, den alten Mann auf die Arme zu nehmen und den geschundenen Körper auf das Lager der Königin zu betten. »Alban, es ist Siegfried. Sag mir, was geschehen ist.«
Jedes Wort schmerzte, doch der Ratgeber kannte seine Pflicht. »Die ... Chhorden ... Ho... Horden. Uhhgard. Tausende. Dämonen. Tausende.«
Alban war Christ, das wusste Siegfried. Trotzdem sprach der alte Mann von Utgard, der Unterwelt. Was er gesehen hatte, musste unzweifelhaft gewesen sein. »So haben Heerscharen aus Utgard das Reich überfallen?«
Der Ratgeber nickte, soweit es ohne Schmerzen möglich war. »Aus dem Feuer ... ohne Gnade. Alle ... tot.«
In diesem Moment entschloss sich Siegfried, die Götter selbst für dieses Massaker zur Rede zu stellen. »Verzeih mir, dass ich nicht bei Euch war, Alban. Mein Leben hätte ich gegeben, um das Eure zu retten – und das von Xan-dria.«
»Die Chhönigin«, krächzte Alban mühsam. »Rettet sie!«
Der Sinn der Worte brauchte einige Momente, um zu Siegfried durchzudringen. »Xandria retten? Dann ist sie nicht verloren?«
Alban wollte wohl Siegfrieds Arm greifen, aber seine gebrochenen Knochen ließen es nicht zu. »Nach Uhgard«, flüsterte er, und das Leben schwand aus seinem Körper. »Die Chhönigin.«
Dann erlöste ihn der Tod von Schmerzen, die ihn am Leben gehalten hatten, um Siegfried diese Nachricht zu überbringen. Seine Pflicht hatte er getan, und weit mehr. Siegfried nahm ein Seidentuch, um das Gesicht des tapferen Mannes zu bedecken.
Dann trat er auf den Balkon, hielt Nothung in die Abendsonne und brüllte: »UTGAAARD!!!«
Durch Meilen Erdreich zerrte die Horde Xandria, bis alles an ihr Dreck war. Sie hustete fauligen Humus aus, der ihre Ohren verschloss, unter den Fingernägeln kratzte und an ihrem Geschlecht trocknete. Wurzeln rissen Wunden in ihre Haut, doch Blut kam wenig, weil sofort Schmutz in das Fleisch drängte. Atmen war kaum möglich, doch die Königin war viel zu benommen, um die Lungen zu füllen.
Irgendwann durchstießen sie die Scheibe von Midgard nach unten, und ewig noch wäre Xandria gefallen, bevor sie in Utgard auf dem düsteren Boden ihr Ende gefunden hätte. Aber die Dämonen krallten sich in ihr Fleisch und hangelten sich an den Wurzeln Yggdrasils nach unten. Besondere Vorsicht legten sie nicht an den Tag, und immer wieder schlug der Kopf der Königin gegen armdicke Äste, und abgebrochenes Holz bohrte sich in ihren Körper.
Dort, wo
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