Die Rache Der Nibelungen
auch aussprechen durfte. »Seht ihr nicht auch viel Siegfried in ihm?«
Gernot rieb sich das Gesicht. »Siegfried – es ist, als ob sein Schatten mich verfolgt. Elsa hat es auch bemerkt. Aber der Knabe kannte seinen Vater kaum, und in unserer Obhut wurde er gut erzogen.«
»Die Wut eines Xantener Herzens ist nicht durch eine gütige Hand zu besänftigen«, gab Eolind zu bedenken. »Und doch habt Ihr das Beste aus dem gemacht, was die Götter ihm mitgaben.«
Gernot schmunzelte. »Das ist wahr. Sein Vater hätte keinen Dryk am Leben gelassen. Im Gegenteil – an jeder Hand einen Kadaver hätte er hinter sich hergeschleift, um uns zu imponieren. Aber es trifft mich, dass Sigurd mir nun grollt.«
»Ich muss zugeben, dass ich die Königin verstehen kann. Es rumort auf dem Kontinent, und die Omen sind schwarz wie die Nacht ohne Mond. Nicht nur für Sigurd mag es hier in der Burg sicherer sein.«
Gernot dachte eine Weile darüber nach. Er hatte sich immer selbst eingeredet, dass kaum Gefahr drohte. Aber was, wenn das nur Wunschdenken war? Die Blutlinien der Königshäuser waren verworren. Die Römer hatten zwar Burgund unter ihre unmittelbare Verwaltung gestellt, aber Gernot war noch immer der Erbe der Krone. Und nach dem Tod seiner Schwester, die Siegfried geheiratet hatte, machte ihn das auch zum König von Xanten. Wulfgar konnte sich erst zum rechtmäßigen Herrscher ausrufen, wenn die Letzten vom Geschlecht Burgund verbrannt oder begraben waren.
»Glaubst du, Wulfgars Sinn steht nach Krieg?«
Eolind legte den Kopf schräg. »Er ist ein skrupelloser, aber kein dummer König. Für den Moment sollte Xanten ihm genügen, aber fast täglich entstehen und vergehen Allianzen auf dem Kontinent. Was für ihn heute genug ist, könnte schon morgen nicht mehr reichen.«
Gernot nickte. »Dann war meine Entscheidung richtig. Sigurd muss bleiben.«
»So wie es Euer Wille ist.« Eolind brachte doch noch den Mut auf, seinen König zu fragen: »Und der Rest des Reiches? Sollte sich Island nicht ebenso wappnen wie Xanten?«
Gernot verzog das Gesicht. »Du meinst aufrüsten? Söldner anheuern? Waffen schmieden? Schon der erste Schritt in diese Richtung würde alle anderen Reiche auf Island schauen lassen. Der Griff zum Schwert ist die Aufforderung zum Kampf. Es gäbe kein Zurück.«
»Doch wir bestimmen nicht allein den Lauf der Geschichte«, gab Eolind zu bedenken. »Lasst Island nicht zur fetten Frucht werden, die ein jeder Gegner nur zu pflücken braucht.«
»Was schlägst du vor?«
»Allianzen. Sendet Boten zu Dagfinn und den anderen Königen, deren Reiche am Meer liegen. Frieden bedeutet freien Handel, und keiner von ihnen kann darauf verzichten. Schmiedet ein Bündnis, das jeden Gegner abschreckt. Schild an Schild sind auch die schwächeren Territorien kaum zu unterwerfen.«
Er gähnte, und Gernot lachte freundlich. »Es ist schon spät für eine Lehrstunde in Diplomatie. Und doch hast du natürlich recht, treuer Eolind. Vielleicht haben wir Island zu lange nicht regiert – sondern versteckt.«
»Das mag so sein.«
Gernot legte Eolind seine Hand auf die Schulter. »Was wäre das Reich ohne dich? Brunhilde war sehr weise, als sie dir dereinst das Land in Obhut gab.«
Eolinds Blick verdunkelte sich. »Lasst uns von ihr nicht mehr sprechen. Nie mehr. So war es abgemacht.«
Elsa wandelte durch die Gänge der Burg wie ein Geist auf der Suche nach dem Weg ins Jenseits. Sie hielt eine kleine Fackel in der Hand, um nicht über die schroffen Kanten der Bodenplatten zu stolpern. In Burgund war alles viel ordentlicher gemeißelt gewesen, aber sie hatte sich an die raue Unfertigkeit Islands gewöhnt, sie sogar schätzen gelernt. Wo keine Perfektion war, da wurde auch keine Perfektion erwartet.
Eben noch hatte sie nach Lilja gesehen – die Kleine war nun endlich im Bett gelandet und sogleich eingeschlafen. Elsa hatte ihr das abgebrochene Horn aus der Hand nehmen wollen, damit sie sich in der Nacht daran nicht verletzen konnte, aber selbst im Schlaf hatte sich das Kind daran geklammert. Lilja vergötterte Sigurd, und jedes Geschenk von ihm war ihr heilig.
Sigurd. Elsa seufzte bei dem Gedanken. Sie konnte den Jungen ja verstehen, und Gernot auch. Aber die Männer hatten ihre Träume nicht gesehen, die Träume von Tod und Untergang. Wie konnte Elsa nach diesen Omen noch den einzigen Sohn ziehen lassen, zumal seine Geburt schon vom Schicksal belastet gewesen war?
Wieder einmal dachte Elsa daran, Sigurd die Wahrheit zu
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