Die Rache Der Nibelungen
sie überschreiten konnte. Kein Mädchen war je so sehr Krieger und gleichzeitig so sehr Frau gewesen. Er hatte das Licht der Liebe in ihren Augen gesehen, als sie das erste Mal dem jungen Siegfried begegnet war, und über die Jahre, in denen sie vergebens auf ihn wartete, war es langsam erloschen. Als er für seinen Freund Gunther – ausgerechnet Gunther! – um ihre Hand warb, da war das Feuer in ihr wieder erwacht. Aber es war nur noch das Feuer der Rache gewesen, nicht mehr das Feuer der Leidenschaft.
Elsa mochte es so wenig wie Gernot, wenn man von Brunhilde sprach, die das letzte isländische Blut auf dem isländischen Thron gewesen war. Und Eolind verbot der Schmerz, ihren Namen im Mund zu führen. Aber bei den Göttern, er hatte sie geliebt! Und manchmal, wenn er seinem Herzen für eine einsame Minute die Wahrheit gestattete, dann sehnte er sich nach den vergangenen Jahren zurück. Dann hasste er die Burgunder, den Frieden und den Niedergang des Hauses Island.
Irgendwo am Horizont spaltete ein Blitz den nächtlichen Himmel, als wollte er seine düsteren Gedanken begrüßen.
Eolinds Kopf wurde wieder klar, und er war sich selber gram, dass er so dachte. Die Burgunder behandelten ihn gut und mit mehr Respekt, als seinem Posten zustand. Es gab keinen Grund, ihnen Böses zu wünschen.
Sein Blick schweifte über den Fjord, und im Mondlicht sah er ein paar kleinere Handelsschiffe dümpeln. Sie brachten die Waren, die Island nicht selber erzeugen konnte, und sie nahmen das wenige, was hier im Übermaß vorhanden war, und verkauften es in die Welt. Das meiste davon waren Erze, und viele Isländer bauten Metalle in den Minen ab oder veredelten sie.
Eolind merkte, dass an einem kleinen Handelsschiff, dessen Bug fast auf den Kiesstrand gezogen war, hektische, wenn auch leise Betriebsamkeit herrschte. Ein, zwei Handfackeln erleuchteten die augenscheinlich eilige Abreise von ein paar Männern. Das war ungewöhnlich, denn es war noch zu früh, um die Segel zu setzen. Auch die Gezeiten riefen nicht zur Eile. Eolind kniff die Augen zusammen, aber es war zu dunkel und zu weit weg, um Genaueres zu erkennen.
Er würde den Hafenmeister nach dem Morgenbrot zur Rede stellen. Eine heimliche Ausfahrt, fast schon einer Flucht gleich – das sollte es nicht geben.
Dann begab er sich wieder in seine Kammer, um ein paar Stunden die Augen zu schließen.
Gelen begrüßte die Sonnenscheibe damit, dass er in das dunkle Meer kotzte. Sein Gesicht war bleich wie die Haut eines frisch geschorenen Schafes, und er konnte keinen Satz sprechen, ohne gleich wieder zu würgen. Jon und Sigurd wunderten sich, dass ihr Freund überhaupt noch etwas in sich hatte, das er speien konnte.
Jon stand neben dem Prinzen am Bug des kleinen Handelsschiffs, und sie schauten gemeinsam, wie unter ihnen das Meer in weißer Gischt geteilt wurde. Der Wind stand günstig jetzt, das breite Segel war voll gespannt, und es ging gut voran.
Sigurd hatte seit Stunden nicht mehr gesprochen, seit er dem Händler, auf dessen Boot sie sich befanden, befohlen hatte, in tiefschwarzer Nacht auszulaufen. Er war der Prinz von Island, das stand in seiner Macht. Und doch – es war offensichtlich, dass Sigurd ungebührlich handelte. Gegen den Willen seines Vaters. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Seine linke Hand ruhte auf dem Pferdekopf, der die Spitze des Schiffes zierte. Sein Blick war entschlossen und ruhig.
Jon musste seine Stimme heben, um gegen das Meer anzusprechen. »Mein Prinz, es ist nicht ganz das, was ich mir unter der Abreise vorgestellt hatte.«
Sigurd antwortete, ohne ihn anzusehen. »Was hattest du dir denn vorgestellt?«
Jon zuckte mit den Schultern. »Einen zünftigen Abschied der drallen Bryndis. Ein paar Tränen. Man will ja wissen, dass man vermisst wird.«
Sigurd spuckte ins Meer. »Ich glaube kaum, dass mich jemand vermissen wird.«
Jon lachte, musste aber sogleich wieder innehalten, weil seine Rippen schmerzten. »Ein guter Scherz! So wie ich Eure Mutter kenne, ist bereits der ganze Hof in Aufruhr!«
Gelen kam dazu. Er tupfte sich breiige Reste vom Hemd. »Ich hoffe mal, in Dänemark gibt es tüchtige Waschfrauen. Viel konnte ich an Kleidung in der Eile ja nicht einpacken.«
»Beschwer dich nicht«, beschied ihn Sigurd. »Ist es so nicht genau das, was wir wollten – ein Abenteuer? Wo liegt der Reiz in einer erlaubten Flucht?«
Jon nickte. »Der König wird mich mit einem Fußtritt aus dem Palast befördern, aber bei den Göttern, ich
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