Die Rache Der Nibelungen
auf. »Es gibt wohl nichts mehr zu bereden.«
Er machte ein paar Schritte auf die kleinere Tür zu, die in den Flügel der Burg führte, in dem sich sein Zimmer befand.
»Sigurd«, sagte Gernot scharf. »Du wirst deinen Kelch aufheben und wieder auf den Tisch stellen.«
Es war ein Machtspiel. Gernot forderte von Sigurd, den Streit nicht ohne Unterwerfung zu beenden. Der Prinz hielt inne. Dann nahm er langsam den Kelch, den er beiseitegeschleudert hatte, und brachte ihn zum Tisch zurück. Gernot sah ihn dabei wortlos an.
Sigurd wich dem Blick seines Vaters nicht aus. Er stellte den Kelch auf den Tisch – mit der Öffnung nach unten.
Dann ging er, ohne sich noch einmal umzusehen. Die Tür knallte laut hinter ihm in die Angeln, und es hallte im Saal nach.
Gernot setzte sich und nahm einen tiefen Schluck Met. Doch er schmeckte bitter. Er hatte gewonnen – und doch verloren.
Elsa begann wieder leise zu weinen. »Es ... es tut mir leid.«
Gernot stand auf und ging durch die große Saaltür davon.
»Es ist nicht die Zeit für Kinder«, sagte Eolind müde und hoffte damit mehr auf Ruhe für sich selbst als für die Prinzessin. »Und der König mag es nicht, wenn Ihr des Nachts noch durch die Burg geistert.«
Lilja war viel zu aufgeregt, um sich von den Reden des alten Ratgebers beeindrucken zu lassen. Die Begeisterung der Jugend ließ ihre Kräfte unerschöpflich wirken. »Aber Sigurd hat gesagt, du hättest etwas für mich. Ein Geschenk!«
Eolind winkte ab. »Was immer er gemeint haben mag – es wird wohl bis morgen warten können.«
Er hatte schon das einfache Hemd für die Nacht übergezogen, und die Laken seines Lagers schienen mit leisen Stimmen nach ihm zu rufen. Sein Stock lehnte in der Ecke an der Wand.
»Nein!«, rief Lilja entschlossen und hüpfte dabei, als wolle sie die Burg zum Einsturz bringen. »Ich kann nicht schlafen, wenn ich es nicht habe!«
»Wenn du
was
nicht hast?«, fragte Eolind listig.
Lilja beruhigte sich etwas und dachte angestrengt nach. Das war ein Dilemma – sie konnte kaum behaupten, ohne etwas leben zu können, wenn sie nicht einmal wusste, was es war. »Das ... das, was Sigurd mir versprochen hat!«
»Hat er es dir denn für
heute
versprochen?«, hakte Eo-lind nach.
Lilja hasste es, wenn Eolind so verschlagen war. Sie versuchte immer, schlauer zu sein als der alte Mann, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen.
»Ich bin
sicher
, es hat bis morgen Zeit«, kam eine Stimme von der Tür, und Eolind merkte erst jetzt, dass der König leise hereingetreten war. »Und morgen kommt
erheblich
schneller, wenn eine gewisse Prinzessin sich der Nacht ergibt.«
Gegen das Wort ihres Vaters kam Lilja nicht an, und mit zusammengepressten Lippen machte sie sich auf den Weg in ihr Zimmer. Doch bevor sie an der Tür war, pfiff Eo-lind nach ihr, wie man nach einem Pferd pfiff. Er kramte mit seiner zitternden Hand in der Tasche, die auf einem Schemel lag. Schließlich fand er das abgebrochene Horn des Dryk und warf es der Prinzessin zu, die es begeistert auffing und dann in ihren kleinen Händen hin und her drehte.
»Es wird dich immer beschützen«, sagte Gernot lächelnd und schob seine Tochter aus der Tür. »Aber nicht vor mir, wenn ich dich heute Nacht noch einmal mit offenen Augen sehe.«
Lilja drehte sich ein letztes Mal zu Eolind und winkte ihm dankbar. Dann war sie fort.
»Sie zu bändigen ist schlimmer als ein Heer von Söldnern zu führen«, seufzte Gernot.
Eolind verneigte sich gebührlich, und dem König fiel erst jetzt auf, dass sein Ratgeber sich bereits zur Nachtruhe fertig gemacht hatte. »Es tut mir leid, wenn ich dich noch störe ...«
»Die Pflicht für den König kennt keinen Schlaf«, erwiderte Eolind. »Womit kann ich Euch dienen?«
Gernot setzte sich auf eine kleine Holzbank an der Wand und legte den Kopf in den Nacken, bis er den kalten Stein berührte. »Ich brauche nur ein freundliches Ohr – eines, das mich nicht mit Vorwürfen und eitlen Wünschen quält.«
Eolind nickte, denn er ahnte, worum es ging. »Sigurds Reise nach Dänemark.«
Gernot sah seinen Ratgeber an – es überraschte ihn nicht, dass Eolind im Bilde war. »Elsa ist strikt dagegen, und um ihr Herz nicht zu brechen, habe ich meinem Sohn die Fahrt verboten. Nun hasst er mich mit der Inbrunst eines Hundes an der Kette.«
»Er ist mehr seines wahren Vaters Blut, als Euch lieb sein kann«, murmelte Eolind. Er war vermutlich der Einzige bei Hofe, der die Wahrheit nicht nur kannte, sondern sie
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