Die Rache Der Nibelungen
der Weiberei hinzugeben, konnte kaum ihren Wünschen entsprechen. »König Gernot würde es verstehen – ich glaube kaum, dass er als junger Mann anders war als wir.«
Jon nickte. »Das mag wohl sein – aber wann hat Gernot jemals etwas getan, was der Königin missfiel? Und nach dem, was die Seefahrer erzählen, hat sie Grund zur Sorge.«
»Was erzählt man sich denn so?«
Jon wusste immer gut Bescheid, weil er dem Hafenmeister half, die einlaufenden Schiffe zu überprüfen. Neben vielen tolldreisten Lügengeschichten bekam er auch die neuesten Gerüchte vom Festland zu hören – manchmal vor dem König selber. »Es heißt, auf dem Kontinent ist Unruhe. Noch kein Krieg, aber sein Geschmack liegt in der Luft. Die Schmiedefeuer verlöschen in keiner Nacht mehr, und man sagt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis das erste Eisen gezogen wird.«
Gelen seufzte. Er sah die Möglichkeit, endlich bei einem Weibe zu liegen, dahinschwinden.
Jon unterbrach die trüben Gedanken seines Freundes, indem er die Hand hob und zischte: »Pst! Hörst du das?«
Gelen strengte sich an. Die Nacht in Island kannte viele Geräusche, und die Erde war manchmal lauter als die Tiere, die auf ihr herumstaksten. Aber nach ein paar Sekunden vernahm er ebenfalls das rhythmische Klackern auf dem harten Boden. »Pferde.«
Jon stöhnte erleichtert. »Sigurd hat uns nicht vergessen.«
Gelen rieb sich die Hände. »Na wunderbar. Ich sterbe vor Hunger.«
Sigurd machte sich nicht die Mühe, zwischen essen und reden zu unterscheiden. Schmatzend berichtete er von seinem Abenteuer. »Wenn ich es euch sage – der Dryk erkannte seinen Meister. Und er gehorchte wie ein abgerichteter Hund.«
Gernot lachte und schlug mit der Hand auf den Tisch, sodass der Met aus seinem Kelch schwappte. »Wohlan, und wäre es keine wahre Geschichte – eine gute Geschichte wäre es dennoch. Am Hofe von Burgund wärst du damit in der Runde der Krieger gut gelitten.«
Sigurd sah nicht, dass Gernot für diese Bemerkung einen strafenden Blick von Elsa bekam. Er war stolz auf den Stolz des Vaters. »Ich möchte die Geschichte gerne aufschreiben.«
So wie Gernot mürrisch die Stirn zusammenzog, so heiterte sich nun Elsas Miene auf. »Das ist eine wunderbare Idee.«
»Was willst du aufschreiben, und wozu?«, wollte Gernot wissen.
Sigurd trank einen kräftigen Schluck. »Mein Abenteuer. Es hat Euch gefallen, vielleicht gefällt es anderen.«
Gernot winkte ab. »Dann erzähle es den anderen, wie du es mir erzählt hast. Was soll dieser Unsinn von Büchern und Schriften? Wer von alten Abenteuern schreibt, erlebt keine neuen.«
Elsa legte ihrem Sohn die Hand auf den Arm. »Hör nicht auf ihn. Deine Worte auf Pergament wären für die Ewigkeit.«
»Es sind kaum große Taten, die man aufschreiben muss, damit die Söhne sie nicht vergessen«, hielt Gernot dagegen.
»Vielleicht ist es mehr als angebracht, die Geschichte unserer Familien zu bewahren, auf dass die Lektionen nicht vergessen werden«, entgegnete Elsa eine Spur zu scharf und bereute es sogleich.
Sigurd spürte die Spannung zwischen seinen Eltern, auch wenn er sie nicht erklären konnte. Elsa und Gernot sprachen für gewöhnlich nicht über ihre Vorfahren. Sie waren wohl von weither gereist, um den verwaisten Thron Islands zu übernehmen – und nun zählte für sie nur noch das, was Island war.
»Es ist ja nicht nur der Dryk«, sagte Sigurd vorsichtig. »Auch Dänemark wird mir gewiss ausreichend Erinnerungen für lange Abende bringen.«
Es wurde sehr still im Speisesaal, und Sigurd war nicht mehr sicher, ob er den Atem seiner Eltern noch hörte. »Was ist?«
Elsa bemühte sich, etwas zu essen, um nichts sagen zu müssen, und ihr Blick zu Gernot war eine einzige Aufforderung, das Wort zu ergreifen. Der König gab sich zuerst störrisch, doch dann besann er sich der Pflicht und des Versprechens, das er seiner Frau gegeben hatte.
»Sigurd ...«, begann er langsam. Er räusperte sich. Zweimal. Dann endlich fand er die Worte: »Deine Mutter und ich haben verglichen, was wir für dich wollen, und wo in unseren Augen deine Zukunft in Frieden und Sicherheit ruht. Und wir sind uns einig ...«
Er hielt inne, weil Elsa bei diesen Worten dankbar seine Hand drückte.
»Und wir sind uns einig«, begann er erneut, »dass für Dänemark noch Zeit ist. Später.«
Sigurd vergaß zu kauen. Er hatte vieles erwartet – dass man ihm einen Aufpasser mitgeben würde. Dass regelmäßig Bericht vom Hofe Dagfinns zu erstatten
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