Die Rache Der Nibelungen
und sein abgemagerter Körper verriet wenig Erfolg bei der Jagd. Nazreh wollte den struppigen Jäger mit der Klinge erlösen, aber Sigurd hielt ihn davon ab. »Wie könnten wir die stolze Kreatur meucheln, die doch so sichtlich um ihr Leben kämpft? Ihm geht es nicht anders als einst mir am Strande Britanniens. Damals nahmst du dich meiner an, und nun würde ich diese Gnade gerne weitergeben.«
Nazreh lächelte. »Ob dir der Wolf die Mühe danken wird wie du einst mir, sei allerdings dahingestellt.«
Im Morgengrauen gelang es ihnen, das geschwächte Tier auf einen Umhang zu betten, und Sigurd hielt ihm die Schnauze, während Nazreh Heilpaste aus seinem Beutel auf die schwärenden Wunden rieb. Das Tier lag still, vielleicht schon aus Leid, vielleicht auch in der vagen Erkenntnis, in guten Händen zu sein. Doch Sigurd hatte die Schnauze kaum losgelassen, da schnappte der Wolf nach ihm.
»Ein Lamm wird aus ihm nicht werden«, stellte Sigurd fest, »nicht mal einer der treuen Hunde, die wir in meiner Heimat abgerichtet haben.«
Sigurd nannte nie den Namen Island. Zwischen ihm und Nazreh gab es Geheimnisse, und beide respektierten das.
Er warf dem Wolf ein Stück getrocknetes Fleisch hin, das dieser erst herunterschlang, als Sigurd und Nazreh genügend Abstand genommen hatten.
Und doch – in den nächsten Wochen, durch Täler und über Hügel, an Städten vorbei und in eiskalten Nächten des hereinbrechenden Winters, immer wieder sahen sie das Raubtier mit den funkelnden Augen und dem golden schimmernden Fell. Manchmal raschelte er in einem entfernten Busch, dann wieder kaute er auf den Knochen, die die beiden Reisenden hinterlassen hatten. Wenn die Mondscheibe klar am Himmel stand, hörte Sigurd ihn oft heulen, als wollte er ihre Reise dergestalt begleiten.
Nazreh schrieb das alles auf, den Kopf amüsiert wiegend. »Nun sind wir zu dritt.«
Sigurd gefiel der Gedanke. Der Wolf war ein edles Geschöpf, und sein Respekt war viel wert. Die Kette, die sie aneinanderband, war nicht Metall, sondern Freundschaft.
Eine weitere Woche später durchbrachen sie dichtes Gestrüpp, und Sigurds Fuß tappte in schweres Wasser. Was ein Bach sein sollte, entpuppte sich als schwarzer Strom, der sich kalt und mühsam dahinwälzte.
Der Prinz ging in die Knie und hielt die Hand in das Wasser, als sei es geweiht. Er wusste die Antwort, und er fragte dennoch: »Wo sind wir hier?«
Nazreh setzte sich zufrieden ans Ufer und sah sich um. »Wir sind am Rhein, Freund Siegfried. Und damit bald am Ziel.«
In alten Büchern hatte Xandria gelesen, wie einst in Rom und Griechenland das Gift als Mittel der Politik eingesetzt worden war. In Feigen und Wein hatte man es Despoten wie Lästerern eingeflößt, wenn ein genügend entschlossener Zirkel sich zum Verrat gefunden hatte. Leider waren die Chroniken recht vage, wenn es um Zutaten und Mischverhältnisse ging. Viele Ingredienzien waren in Xanten nicht verfügbar, wuchsen sie doch nur in den griechischen Bergen oder wurden aus den Klauen seltener Tiere des Orients gemahlen.
Es kam der Prinzessin zugute, dass sie immer ein deutlich besseres Verhältnis zum Volke gehalten hatte als ihr Vater. So konnte sie in ruhigen Nächten durch die Dörfer ziehen und mit den Heilern sprechen, die oftmals Gifte in schwacher Konzentration verwandten, um Magen oder Darm zu reizen, wenn Speisen unbotmäßig dort rumorten. Ihr Interesse galt als ehrenhaft, wenn sie sich sorgsam Kräuter und Wurzeln notierte. So manches Mittel verwarf sie als Humbug oder Aberglaube, doch bestimmte getrocknete Pilze und Höhlengewächse, das war ihr bekannt, dienten sowohl guten wie bösen Zwecken.
Wulfgar sollte nicht leiden. Xandria war nicht erpicht, dem König an Grausamkeit nachzueifern. Und noch weniger trachtete sie danach, als Königsmörderin selber unter dem Schwert zu fallen – was war gewonnen, wenn Xanten dann alleine stand? Nein, ihr Vater sollte sterben, als hätte das Schicksal launig seinen Tod beschlossen. Einfach, leise, unverdächtig.
Natürlich wusste Hede, was die Prinzessin vorhatte. Ihr oblag es schließlich, auch die selteneren Zutaten für die Tränke und Pulver zu besorgen und an den Wachen vorbei in die Burg zu schmuggeln. Die Hofdame war nicht glücklich dabei, den Plan zum Königsmord zu unterstützen, zumal sie selbst kaum mit Wulfgar zu tun hatte und ihren Stand durchaus seinem Wohlwollen verdankte. Aber Xandria war ihre Herrin, und eine Weigerung hätte eine Verbannung nach sich ziehen
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