Die Rache Der Wanderhure
erst am Morgen eine Pause, damit es grasen konnte. Marie fühlte sich müde und zerschlagen, vermochte aber nicht zu schlafen. Sowie sie die Augen schloss, sah sie Ruppertus’ grässlich zerstörtes Gesicht vor sich. Er hatte viel gelitten, doch das war nur eine geringe Strafe für all seine Untaten, zumal das Schicksal ihm ungeheure Macht und großes Ansehen verliehen hatte, so dass er erneut und weitaus machtvoller als damals in ihr Schicksal eingreifen konnte.
Nicht nur in ihres, korrigierte sie sich. Auch in das von Isabelle de Melancourt und König Sigismund. Marie fasste nach dem Siegelring, den sie von der Äbtissin bekommen hatte und nun an einer Silberkette um ihren Hals trug. Auch diese Mission schien gescheitert zu sein, bevor sie begonnen hatte. Dabei wäre es wichtig gewesen, Graf Sokolny davon zu überzeugen, dass er sich mit dem König verbünden musste. Solange sie das nicht erreicht hatte, gab es für Sigismund keinen Grund, auch nur den kleinen Finger zu ihren Gunsten zu rühren.
Marie zischte eine Verwünschung und sah dann Nepomuk auffordernd an. »Wir sollten die beiden Leichen aus dem Wagen werfen. Hier findet sie so leicht keiner!«
»Ich weiß nicht. Mir erscheint es besser, noch ein wenig zu warten. Ich habe ein komisches Gefühl.« Nepomuk fing seinen Gaul wieder ein und spannte ihn vor den Wagen. »So, du hast genug gefressen! Im Gegensatz zu dir mussten wir auf das Frühstück verzichten.«
»Es regnet zu sehr, als dass wir ein Feuer hätten entzünden können.« Marie seufzte, denn ein warmer Morgenbrei wäre genau das gewesen, was sie sich im Augenblick gewünscht hätte. Dann aber zuckte sie mit den Achseln. Sie befand sich auf der Flucht und würde wohl noch einige Zeit auf jedwede Annehmlichkeit verzichten müssen.
»Es ist weniger wegen dem Regen. Ein kleines Feuer hätten wir mit einer Plane abdecken können, doch das Holz ist feucht und würde zu stark rauchen. Das könnte die falschen Leute auf uns aufmerksam machen!«
Nepomuk zwinkerte Marie zu und forderte sie auf, wieder auf den Wagen zu steigen. Er folgte ihr und griff dabei nach hinten in eine Truhe. Als er die Hand wieder zurückzog, hielt er einen Rest Brot in der Hand, den er Marie reichte.
»Schneide es in zwei Teile! Aber halte es vorher in den Regen, denn es muss erst ein wenig aufweichen. Eines verspreche ich dir: Wenn wir das nächste Mal fliehen müssen, lade ich den Wagen vorher mit frischem Brot voll!«
»Eine Flucht tritt man meistens nicht nach langer Planung und Vorbereitung an«, antwortete Marie herb.
Ihre Miene verhärtete sich wieder, und während der nächsten Meilen weilte ihr Geist in weiter Ferne. Sie dachte an Trudi und Hiltrud, die treue Freundin, und an Michel, von dem sie noch immer nicht wusste, ob er Ruppertus’ feigen Anschlag lebend überstanden hatte.
Während Nepomuk seine Mähre ostwärts lenkte, musterte er Marie immer wieder. Der Regen hatte die Farbe aus ihrem Haar und die Reste der weißen Schminke von ihrem Gesicht gewaschen, und nun glich sie einer ins Wasser gefallenen Katze. Dennoch erschien sie ihm wunderschön. Aber sie war viel zu ernst, setzte er für sich hinzu und beschloss, sie ein wenig aufzuheitern. Ansatzlos begann er zu lachen und riss Marie damit aus ihrem Grübeln.
»Was ist denn jetzt so lustig?«, fragte sie verärgert.
Nepomuk verzog das Gesicht zu einem übermütigen Grinsen. »Ich kann diesen Inquisitor gut verstehen. Er und ich haben sehr viel gemeinsam.«
»Wie kommst du auf so etwas?«
»Auch ich würde den König verraten, das Reich in Flammen setzen und Gott verleugnen, wenn du dafür an meiner Seite bliebest.«
Nun huschte der Anflug eines Lächelns über Maries Gesicht. »Du bist ein Narr!«
»Ja, das bin ich«, murmelte Nepomuk, und es klang bedauernd.
Er spürte, dass er zwar auf ihre Freundschaft hoffen konnte, aber nicht auf mehr. Nun beneidete er den Mann, dem ihre Liebe und Treue galt, und sagte sich, dass dieser ein besonderer Mensch sein musste. Er wollte Marie jedoch beweisen, wozu er fähig war, und dabei würden die beiden Toten im Wagen ihm helfen. Das war jedoch nichts, was er ihr schon jetzt verraten wollte.
So lenkte er den Wagen weiter durch den Regen. Während die Mähre mit hängenden Ohren zog, gingen Maries und Nepomuks Gedanken eigene Wege.
15.
E tliche Dutzend Meilen weiter im Westen und um einiges sicherer als im umkämpften Böhmen saß Sigismund, deutscher König und Anwärter auf die Kaiserkrone Karls des Großen,
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