Die Rache Der Wanderhure
Nach Böhmen geht es dort entlang.«
Da es sich auch um Deserteure handeln konnte, verbarg Marie sich mit Trudi noch tiefer im Gebüsch. Diese schniefte enttäuscht, weil ihr Vater nicht bei den Soldaten war. Aber da sie die Besorgnis der Mutter spürte, blieb sie still.
»Die Kerle haben Gefangene bei sich«, wisperte Hiltrud, so als hätte sie Angst, der Wind könnte ihre Worte bis zur Straße tragen.
Jetzt sah Marie es auch. Die Soldaten trieben mit Ketten aneinandergefesselte Männer in zerschlissenen, ihr unbekannten Gewändern vorwärts. Als einer der Gefangenen erschöpft stehen blieb, schlug ein Soldat mit seiner Peitsche auf ihn ein und brüllte: »Willst du wohl weitergehen, du Hund!«
»Das müssen Hussiten sein«, flüsterte Marie.
Hiltrud schob einen Zweig beiseite, um besser sehen zu können, und kratzte sich verblüfft am Kopf. »Meinst du? Die schauen aber wie ganz normale Leute aus. Den Worten unseres hochwürdigen Herrn Pfarrers zufolge müssten sie Hörner, einen Schweif und einen gespaltenen Huf anstelle des linken Fußes haben.«
»Warum sollten sie anders aussehen als wir?«, fragte Marie herb. »In Böhmen leben auch nur Menschen und keine Teufel. Die existieren nur im Geschwätz von Leuten, die nichts davon verstehen! Der Pfaffe sollte sich schämen, so etwas zu behaupten.«
Zwar war der Pfarrer ein frommer Mann und stellte weder den Frauen noch seinen Ministranten nach, doch Marie hielt ihn für dumm wie Bohnenstroh. In Hiltruds Augen war er jedoch der Pfarrherr und damit jemand, der sein Wissen direkt von Gott empfing. Aus diesem Grund war sie nicht bereit, die Worte ihrer Freundin einfach hinzunehmen.
»Es heißt, diese Hussiten seien wahre Ungeheuer! Sie bringen fromme Mönche um und spießen ihre Köpfe auf. Und was sie uns Frauen antun, will ich lieber nicht erzählen. Unser Hochwürden sagt …«
»Der Pfarrer sagt viel, um seine Schäflein in den Pferch zu treiben, der ihm richtig dünkt«, unterbrach Marie sie verärgert. »Diese Männer dort mögen vielleicht all das getan haben, was er erzählt. Jetzt aber werden sie von der Inquisition gefoltert und anschließend auf den Scheiterhaufen geschickt.«
»Du hörst dich beinahe so an, als hättest du Mitleid mit den Kerlen«, sagte Hiltrud verwundert.
Marie drückte ihre Tochter enger an sich. »Nicht jeder Hussit ist ein schlechter Mensch, und es haben sicher auch nicht alle gemordet und geschändet. Doch wenn man in die Hände des Feindes fällt, wird kein Unterschied gemacht. So ist nun einmal der Krieg.«
Damit wandte sie dem in der Ferne verschwindenden Gefangenenzug den Rücken zu und kehrte zu den Holunderdolden zurück. »Wir sollten weiterarbeiten, sonst wird es Nacht, und unser Korb ist noch nicht voll!«
Hiltrud nickte und versuchte zu lächeln. Doch die frohe Stimmung dieses Morgens wollte sich nicht mehr einstellen. Da Trudi das traurige Gesicht ihrer Mutter bedrückte, setzte sie sich still in ihre Nähe, wiegte die Puppe im Arm und starrte in die Richtung, in die die Soldaten gezogen waren.
Marie fragte sich, warum dieser Zwischenfall ihr die Laune verdarb. Wahrscheinlich hatte der Anblick der Gefangenen sie daran erinnert, dass der Krieg auch Hohenstein erfassen konnte. Nun betete sie, dass Michel bald zurückkehren möge, um sie, Trudi, Hiltrud und all die anderen zu beschützen, die auf der Burg und in den umliegenden Dörfern lebten.
7.
B ereits am nächsten Tag ging Maries Wunsch in Erfüllung. Michel kehrte aus Nürnberg zurück, und er hatte für alle Geschenke mitgebracht. So erhielt Thomas ein Messer, Hiltrud ein Stück Stoff für ein neues Kleid und Trudi eine Halskette mit einem silbernen Kreuz. Marie musste ihr die Kette gleich umlegen und ihr einen Spiegel bringen, damit sie sich bewundern konnte.
»Du siehst aber stolz aus!« Hiltrud amüsierte sich über die Kleine, die vor Begeisterung keinen Augenblick stillsitzen konnte. Dann sah sie Michel an, der zwar lächelte, aber trotzdem seltsam ernst wirkte.
»Marie hast du nichts mitgebracht? Dabei hat sie gestern extra noch Holunderküchlein für dich gebacken!«
»Ich warte immer noch auf den Armreif aus Augsburg«, antwortete Michel. »Eine Kleinigkeit habe ich aber trotzdem gekauft, schon wegen der Küchlein, auf die ich mich bereits in Nürnberg gefreut habe.« Er zog ein Päckchen unter seinem Wams hervor und reichte es seiner Frau.
»Was ist das?« Für ein Tuch erschien Marie das Päckchen zu klein, doch war es weich und konnte daher
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