Die Rache des Griechen
Griechenland waren auf einmal sehr präsent. Kallies Worte überstürzten sich fast: „Seit Ya-Yas Tod war ich nicht mehr dort. Das Haus steht leer. Manchmal übernachtet jemand aus der Familie dort, glaube ich, aber …“
Ein plötzliches Gefühl von Traurigkeit überfiel sie. Mit dem Haus verband sie ganz spezielle Erinnerungen. Es jetzt ohne ihre geliebte Großmutter wiederzusehen, machte sie tief betroffen.
Sie bemerkte nicht, wie Alexandros’ Augen sich zu schmalen Schlitzen verengten. „Ist das seit damals dein erster Besuch in Athen?“
Kallie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter, blickte Alexandros an und schüttelte den Kopf. „Ich war seither einige Male in Athen, nur das Haus habe ich nicht wieder betreten.“
Der Wagen kam zu einem sanften Halt. Kallie stieg aus, dankbar über die kühle Luft. Innerhalb weniger Minuten saßen sie einander gegenüber in weichen cremefarbenen Ledersesseln an Bord des Flugzeugs.
Kallie glaubte, sich allmählich besser unter Kontrolle zu haben. In Alexandros’ Gegenwart konnte sie einfach nicht sie selbst sein. Allerdings fiel es ihr sehr schwer, ständig auf ihre Worte zu achten und jeden Impuls zu unterdrücken. Sie war es gewohnt, geradeheraus und ehrlich zu sein. Jedoch würde Alexandros ihr diese Charakterzüge niemals abnehmen. Als das Flugzeug abhob, vermied sie jeden Augenkontakt, spürte allerdings seinen Blick auf sich ruhen. Sie war bereit zuzugeben, dass Offenheit und Ehrlichkeit ihr in der Vergangenheit nicht immer gute Dienste erwiesen hatten. Sie hatte die bittere Lektion lernen müssen, dass Menschen diese Eigenschaften nicht immer zu schätzen wussten, sondern sie im Gegenteil mit Füßen traten.
Ein Sturm sich widersprechender Emotionen tobte durch Alexandros. Er betrachtete Kallies abgewandtes Profil, sah, wie sie mehrfach schluckte. Der Tränenschleier, den er während der Autofahrt in ihren Augen bemerkt hatte, hatte ihn vollends aus der Bahn geworfen. Fast hätte er sie gefragt, ob sie lieber in seinem Apartment in Athen bleiben wollte, als in der Villa zu wohnen. Gott sei Dank war er rechtzeitig wieder zur Vernunft gekommen. Die siebzehnjährige Kallie Demarchis hatte eine Falschheit an den Tag gelegt, die ihn in Erstaunen versetzt hatte. Sieben Jahre später würde sie dieses Talent beträchtlich weiterentwickelt haben.
Der einzige Grund, in Tränen auszubrechen, bestand für sie darin, die Situation zu ihren Gunsten zu manipulieren. Wahrscheinlich kochte sie vor Wut, möglicherweise hatte sie sogar einen Plan in der Hinterhand. Wieso auch nicht? Er hatte klargestellt, dass sie aus dieser Ehe keinen finanziellen Vorteil ziehen würde. Natürlich hatte er im Vorfeld ihre Finanzen gecheckt. Das Geld, das sie durch den Aktienverkauf erhalten haben musste – immerhin eine sechsstellige Summe –, war schon lange aufgebraucht. Die Frau musste einen exklusiven Geschmack besitzen. Nur die Götter wussten, wofür sie das Geld ausgegeben hatte.
In düsterer Stimmung versunken blickte er aus dem Fenster und sah zu, wie der Boden unter ihnen immer kleiner wurde. Er würde mit ihr schlafen und sie dann vergessen. Mehr wollte er nicht. Rasch sandte er ein Stoßgebet gen Himmel, dass er am Ende der zwei Wochen genug von ihr hatte und glücklich die Scheidung einreichen konnte. Sein Anwalt war sogar schon angewiesen, die Papiere vorzubereiten.
Kallie warf Alexandros einen neugierigen Blick zu und wunderte sich über seine ernste Miene. Sie spürte, dass er sich innerlich von ihr zurückgezogen hatte. Und wie um ihren Verdacht zu bestätigen, schaute er sie in diesem Moment an. Der Ausdruck in seinen Augen war so kalt und finster, dass sie ein Zittern unterdrücken musste.
„Bist du hungrig?“, überraschte er sie mit seiner brüsken Frage.
Sie schüttelte den Kopf. Eine Woge der Müdigkeit überrollte sie. Ihre eigenen Sehnsüchte verwirrten sie so sehr, dass sie jede Atempause begrüßte. Deshalb schloss sie die Augen und ließ sich tiefer in den weichen Sitz gleiten.
Eine sanfte Berührung weckte Kallie. Eine Stewardess hatte sich über sie gebeugt. Auch eine Decke war über ihr ausgebreitet worden.
„Mrs. Kouros, wir landen in ein paar Minuten.“
Eine Sekunde lang wollte sie darauf hinweisen, dass sie nicht Mrs. Kouros war, dann erst erinnerte sie sich an alles. Sie richtete sich auf und stellte erleichtert fest, dass Alexandros nicht auf seinem Sitz saß. Als sie sich mit den Händen durch die Haare fuhr, berührte sie die
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