Die Rache des Kaisers
Strasser. »Aber …«
»Die Dinge sind, wie sie sind«, sagte Kassem.
Ich übersetzte, und der Hauptmann seufzte.
»So ist es. Im Frieden ist das Befinden der Soldaten nicht das erste Anliegen der Befehlenden.«
Er schob Stühle zurecht. Als wir uns niedergelassen hatten, blickte er zuerst Kassem an, dann mich.
»Arabisch, nicht wahr?« sagte er. »Ich verstehe nichts, aber ich habe es schon einmal gehört. Was ist Euer Begehr? Und - die Schreiben?«
Kassem reichte mir zusammengerollte Papiere, die er aus einer Innentasche seiner weiten Jacke zog.
»Dies«, sagte ich nach einem flüchtigen Blick, »ist von Papst Leo, der alle Gläubigen auffordert, dem edlen Herrn Kassem behilflich zu sein. Und dies« - ich reichte Strasser den zweiten gesiegelten Bogen - »ist von seinem Neffen, damals noch Giulio de’ Medici zu Florenz, inzwischen als Clemens selbst unser Heiliger Vater. Daß Papst Leo in die Glorie eingegangen ist und sein ebenfalls bereits in Gottes Schoß ruhender Nachfolger Hadrian meinem Herrn Kassem keinen Brief ausgefertigt hat, sollte allenfalls geringe Bedeutung haben.«
Strasser schien beeindruckt. Ich weiß nicht, ob er imstande war, die prunkvollen lateinischen Sätze zu erfassen, aber er senkte den Kopf vor den Schreiben, als wolle er die Siegel küssen. Oder jedenfalls das von Papst Leo, dessen Schriftstück obenauf lag.
»Was ist Euer Wunsch?« sagte er.
Kassem sah mich an. »Sprich. Du weißt, was mein Wunsch ist.«
»Ja, mein Vater.« Ich wandte mich an den Hauptmann, der uns aufmerksam musterte.
»Der Herzog von Ferrara«, sagte ich, »hat meinen Herrn gebeten, eine Botschaft zu übermitteln. Und dies.« Ich griff in den Ausschnitt meines Wamses und zog einen Beutel heraus. Als ich ihn auf den Tisch legte, klirrte der Inhalt.
»Was ist darin?« Strasser hatte die Augen zusammengekniffen.
»Zweihundertfünfzig Florentiner Gulden.«
Der Hauptmann pfiff durch die Zähne. Seine Augen waren immer noch zusammengekniffen, aber nun sah es so aus, als wolle er dadurch das Herabrinnen von Tränen verhindern. »Viel Geld. Wofür ist es bestimmt?«
»Ein lombardischer Capitano, Hauptmann also wie Ihr, hat dem Herzog von Ferrara einen Dienst geleistet, für den ihm noch diese Summe zusteht. Er heißt Antonio Gal - liano.«
Der Hauptmann ließ die Mundwinkel sacken und schüttelte den Kopf. »Ich würde ja gern helfen, aber ich kenne diesen Namen nicht.«
Kassem räusperte sich. »Du solltest den Köder auswerfen«, sagte er halblaut.
Ich langte an meinen Gürtel und holte aus dem dort hängenden Beutel weitere Münzen, die ich auf den Tisch legte.
»Und diese zehn Gulden sind bestimmt für den Mann, der uns hilft, Galliano zu finden.« Ich hob die Hand, als Strasser den Mund zu einer Antwort öffnete. »Wartet, Hauptmann. Der Herzog hat meinen Herrn gebeten, dies für ihn zu erledigen, als er hörte, daß wir ins Gebiet des hohen Herrn zu Trier reisen würden. Denn, so sagte er, Hauptmann Galliano
steht seit einigen Jahren in Diensten des Kurfürsten - möglicherweise aber nicht unter seinem richtigen Namen.«
»Ah.« Strasser runzelte die Stirn. »Unter welchem denn?«
»Das wissen wir leider nicht. Wir können den Capitano nur beschreiben - so, wie man ihn uns beschrieben hat.«
»Wie sieht dieser Mann aus?«
»Er hat vor Jahren in einem Gefecht die linke Hand verloren und trägt seitdem einen beweglichen Unterarm aus Eisen. Und nach einer anderen Verletzung ist eine Seite seines Gesichts unbeweglich geworden.«
Strasser schloß die Augen und lehnte sich zurück. Er dachte sichtlich angestrengt nach. Ich bemühte mich, nichts zu zeigen und keinesfalls schneller zu atmen, aber mein Herz pochte so laut, daß ich beinahe sicher war, er werde es wohl hören.
»Hauptleute mit einer Hand aus Eisen sind selten.« Strasser sprach halblaut; er öffnete die Augen wieder und sah uns abwechselnd an. »Und man redet natürlich über sie. Blutige Heldengeschichten, wißt Ihr.« Er lächelte knapp. »Am Neckar, in, uh, Hornberg, gibt es einen Ritter Götz; der hat auch eine eiserne Hand. Vielleicht kennt er diesen Hauptmann. Es gibt so etwas wie eine Bruderschaft der Eisenfäuste.«
»Ihr wißt also nichts?«
Strasser betrachtete die zehn Gulden und seufzte. »Nicht viel. Ein wenig. Vor Jahren - vier? Vielleicht fünf? Ich weiß es nicht genau. Vor Jahren ist so einer durch das Gebiet des Kurfürsten gereist. Ich hatte von ihm gehört, wie man so Geschichten aufschnappt, und ich habe ihn
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