Die Rache des Marquis
»Sie lassen mich doch nicht im Stich?«
Diese Frage war beleidigend. Er drehte sich erbost um, aber als er die Angst in ihren Augen las, sprach er nicht aus, was ihm auf der Zunge lag. »Nein, ich verlasse Sie nicht.«
Sie nickte und wollte anscheinend noch etwas sagen, doch dann warf sie ihm abrupt die Tür vor der Nase zu.
Christina hatte das angrenzende Zimmer für Caine hergerichtet. Die Bettdecke war einladend zurückgeschlagen, im Kamin knisterte ein Feuer. So weich und bequem das Bett auch war, er fand keinen Schlaf. Rastlos wälzte er sich umher und verfluchte seine mangelnde Disziplin, weil es ihm einfach nicht gelang, die grünäugige Verführerin aus seinen Gedanken zu verbannen. Er verstand nicht, warum er sie so heiß begehrte. Das ergab keinen Sinn. Wo er doch launische, unlogische, verheulte junge Damen nicht ausstehen konnte …
Doch er war einfach zu erschöpft, um klar zu denken. Und es widersprach seinen Gewohnheiten, Zurückhaltung üben zu müssen. Caine nahm sich einfach, was er wollte. Allerdings war er in den letzten Jahren etwas bequemer geworden. Er mußte nicht mehr auf die Jagd gehen, die Frauen kamen zu ihm, um sich willig hinzugeben. Ohne Bedenken zu hegen oder Reue zu empfinden, genoß er, was ihm offeriert wurde. Und er machte seinen Bettgefährtinnen auch gar nichts vor. Niemals verbrachte er ganze Nächte mit seinen Liebhaberinnen, weil er wußte, daß sie sonst am Morgen Forderungen an ihn stellen und sich in albernen Hoffnungen wiegen würden.
Trotzdem begehrte er Jade. O Gott, das war völlig verrückt. Als er sie niesen hörte, sprang er sofort aus dem Bett und schlüpfte in seine Hose, ersparte sich aber die Mühe, sie zuzuknöpfen. Nun hatte er einen Grund, in Jades Zimmer zu gehen. Vielleicht brauchte sie noch eine Decke. Die Nachtluft war kalt. Es könnte auch ein Feuer ausgebrochen sein. Wie der Lichtstreifen unter Jades Tür verriet, mußte sie eingeschlafen sein, ohne die Kerzen gelöscht zu haben.
Besorgt öffnete er die Tür. Auf den Anblick, der sich ihm bot, war er ganz und gar nicht vorbereitet. Jade lag auf dem Bauch, das glänzende Haar über den Rücken gebreitet. Die Augen fest geschlossen, war ihm das schöne Gesicht zugewandt. Gleichmäßige Atemzüge verrieten, daß sie tief und fest schlummerte – splitterfasemackt. Das Nachthemd hing über dem Stuhl neben dem Bett, die Decke hatte sie zu Boden geworfen.
Die kleine Lady mußte sehr sinnlich sein, wenn sie es bevorzugte, nackt zu schlafen. Sie erschien ihm wie eine goldene Göttin – mit wohlgeformten langen Beinen. Plötzlich stellte er sich vor, diese Beine wären um seine Hüften geschlungen, und er stöhnte beinahe. Von heftigem Verlangen erfaßt, näherte er sich dem Bett. Da entdeckte er die lange, dünne Narbe auf Jades Rücken, die er sofort erkannte. Er selbst hatte eine ähnliche an einem hinteren Oberschenkel. Es gab nur eine einzige Waffe, die solche gezackten Wunden verursachen konnte – eine Peitsche.
Irgendjemand hatte Jade ausgepeitscht. Caine war verblüfft und zornig zugleich. Das Alter der Narbe schätzte er anhand der verblaßten Ränder auf fünf Jahre. Das machte die ungeheuerliche Tat noch schlimmer. Als Jade so schrecklich mißhandelt worden war, mußte sie noch ein Kind gewesen sein.
Sollte er sie wecken und nach dem Namen des Bastards fragen? Sie begann im Schlaf zu stöhnen und bewegte sich unruhig. Offenbar wurde sie von einem bösen Traum heimgesucht. Nun nieste sie wieder, dann wimmerte sie leise.
Seufzend ergriff er das Nachthemd und wandte sich wieder zu dem Engel, den er dummerweise in seine Obhut genommen hatte. Er versuchte, sich mit der Komik der Situation zu trösten. Zum erstenmal in seinem Leben würde er einer Frau das Nachthemd an – und nicht ausziehen.
Als er sich über sie beugte, sah er aus einem Augenwinkel Stahl blitzen. Instinktiv wehrte er den Angriff mit einem kraftvollen Schlag seines linken Arms ab, der Jades Handgelenk traf. Der Dolch flog quer durch den Raum und landete klirrend vor dem Kamin.
Jade kniete im Bett und kreischte: »Schleichen Sie sich nie wieder an mich ran! Großer Gott, ich hätte Sie erstechen können!«
»Gehen Sie nie wieder mit einer Waffe auf mich los!« brüllte Caine, nicht weniger wütend. »Sonst bringe ich Sie um!«
Diese Drohung schien sie kein bißchen einzuschüchtern. Offenbar verstand sie nicht, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte, sonst hätte sie zumindest versucht, Zerknirschung zu zeigen.
Jade hatte
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