Die Rache des Marquis
daß es alle hörten, bedachte Caine mit einem letzten vernichtenden Blick und schloß die Tür hinter sich.
Jade wandte sich zu Colin. »Bist du jetzt hinlänglich ausgeruht, um alles zu erzählen? Ich möchte diese Sache endlich hinter mich bringen und gehen«, fügte sie hinzu; worauf Caine ihr beinahe die Hand zerquetschte.
»Ja, ich bin halbwegs ausgeruht.« Colin schaute Nathan an, der ihm zunickte, und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf Caine. »Während meines letzten Studienjahrs in Oxford trat ein Mann namens Willburn an mich heran. Er gehörte dem Kriegsministerium an und rekrutierte Leute für den englischen Geheimdienst. Damals hatte der Krieg zwischen unserem Land und Frankreich noch nicht offiziell begonnen, aber wir alle wußten, was auf uns zukam. Willburn war über deine Tätigkeit für Richards informiert, ich nach wie vor zum Stillschweigen verpflichtet, doch ich hätte mich fragen müssen, warum ich nicht mit dir über meine Arbeit sprechen durfte, Caine. Doch ich hielt das für selbstverständlich, nicht zuletzt, weil auch du kein Wort über deine Aufträge verlorst. Ich dachte, es müßte eben so sein. Um die Wahrheit zu gestehen – ich begeisterte mich für die Spionage.« Verlegen fuhr er fort: »Eine Zeitlang betrachtete ich mich sogar als Retter von England.«
»Wann hast du Nathan kennengelernt?« erkundigte sich Caine.
»Ein knappes Jahr, nachdem ich angefangen hatte, für Willburn zu arbeiten. Man wies uns an, ein Team zu bilden. Nathan war auf ähnliche Weise angeheuert worden wie ich. Später wurden wir gute Feunde.« Colin hielt kurz inne, um den Mann anzulächeln, der neben ihm saß.
»Es ist sehr schwer, ihn nicht zu mögen.«
»Das habe ich bereits bemerkt«, murmelte Caine.
»Sprich weiter, Colin«, befahl Nathan.
»Es dauerte lange, bis ich sein Vertrauen gewonnen hatte – fast ein volles Jahr. In dieser Zeit war er ziemlich reserviert. Und dann, bei einer Rückreise aus Frankreich, erzählte er mir von den Briefen, die Pagan gefunden hatte.«
Colin rutschte auf dem Sofa umher, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Nathan sah es vor den anderen und rückte sofort den Schemel für seinen Freund zurecht. Dann legte er das verletzte Bein darauf – trotz seiner Größe und Muskelkraft erstaunlich behutsam – und schob ein Kissen unter die Ferse. »Ist es so besser?«
»Ja, danke«, antwortete Colin. »Wo war ich stehengeblieben?«
Caine beobachtete Nathan und las tiefe Sorgen in den grünen Augen. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er den Mann nicht länger hassen konnte. Diese Erkenntnis war eine bittere Enttäuschung, denn er wollte ihn verabscheuen. Dieser Bastard hatte seine Schwester ihrem Schicksal überlassen. Durch seine Schuld hatte Jade so hohe schützende Barrieren rings um ihr Herz errichtet und so viel erlitten.
Aber Colin lebte.
»Caine?« Sein Bruder riß ihn aus diesen widersprüchlichen Gedanken. »Hältst du es für möglich, daß eine Regierung innerhalb einer Regierung tätig wird?«
»Alles ist möglich.«
»Hast du jemals vom Tribunal gehört?« Colins Stimme sank zu einem Flüstern herab. Er wechselte einen Blick mit Nathan und erwartete ebenso wie sein Freund, Caines Verneinung zu hören. Und danach wollten sie ihn mit den Tatsachen, die sie herausgefunden hatten, den Atem rauben.
»Ja, davon habe ich gehört.«
»Was?« rief Colin entgeistert.
»Wann?« fragte Nathan. »Und wie?«
»Unmittelbar nach dem Tod Ihres Vaters fand eine Untersuchung statt. Der Graf wurde mit allen erdenklichen subversiven Aktivitäten in Verbindung gebracht.
Man konfiszierte seine Ländereien, stürzte seine Kinder in bittere Armut …«
»Wieso wissen Sie das alles?« stieß Nathan hervor.
Caine schaute Jade an, ehe er antwortete: »Als Jade mir den Namen ihres Vaters nannte, bat ich Lyon, Nachforschungen anzustellen.«
»Wer ist dieser Lyon!«
»Unser Freund«, erklärte Colin, und Nathan runzelte die Stirn.
»Kann man ihm trauen?«
»Ja«, versicherte Colin, bevor sein Bruder zu Wort kommen konnte. »Das war ein guter Schachzug, Caine, Natürlich wandte sich Lyon nicht an die falschen Leute – so wie ich.«
Jades Rücken begann zu schmerzen, weil sie auf der Armstütze ziemlich unbequem saß. Sie entzog Caine ihre Hand und staunte, weil er es erlaubte. Trotzdem wagte sie keinen Fluchtversuch. Er war ein Mann, der stets Wort hielt. Und er würde seine Drohung, sie in Verlegenheit zu bringen, sicher wahr machen. Sie ging zu dem Sessel, aus
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