Die Rache. Thriller.
er den Jungen drückte und wiegte.
Olivia ließ sie etwa eine Minute lang so fortfahren. Dann schritt sie ein und sagte:
»Das war doch gar nicht so schlimm. Aber jetzt wird’s unangenehm. Tommy! Steh auf! Du bist dran!«
»Er kann den Eimer benutzen«, sagte der Richter zornig.
»Nein, das kann er nicht. Jetzt nicht. Das ist nicht erlaubt.«
»Bitte«, sagte Richter Pearson. »Lassen Sie mich mit ihm gehen.«
»Ausgeschlossen.«
»Großvater!« stöhnte Tommy. »Sie bringt mich in den Keller, ich weiß es!«
Olivia grinste. »Kann sein. Gut möglich. So ist das Leben nun mal. Gehen wir?«
»Nein, Großvater, nein, bitte. Ich möchte hier bei dir bleiben. Ich muß gar nicht. Nein! Bitte, laß mich hierbleiben, bitte, Großvater, bitte!«
Richter Pearson wußte, daß die Frau auf die Bitten des Jungen nicht reagieren würde. »Ist ja gut, Tommy. Sei tapfer. Du kannst doch tapfer sein. Du schaffst es, und dann wird alles gut.«
Vorsichtig half er Tommy auf.
»Ich bleibe hier. Nun geh, mach dein Geschäft und komm gleich zurück. Ich bleibe hier, keine Angst.«
Der Junge weinte bitterlich, und seine Schultern zuckten.
Aber sein Großvater sah, wie er mit dem Kopf nickte.
Richter Pearson legte die Arme um seinen Enkel und drehte ihn zur Tür herum. Er war plötzlich ganz verdammt stolz auf ihn. »Beeil dich. Ich warte.«
Tommy marschierte entschlossen hinaus.
Olivia sah einen Augenblick hinter ihm her, dann wandte sie sich dem Richter zu und deutete auf das Bett.
»Hinsetzen!«
Er gehorchte. Er rechnete damit, wieder eine ihrer absurden, weitschweifigen Reden zu hören. Statt dessen drehte sie sich um und ging schnell hinaus.
»He!« sagte der Richter.
Sie verschwand, und der Riegel krachte ins Schloß.
»He! Verdammt! Warte! Tommy!«
Er hörte den Jungen »Großvater! Großvater!« schreien.
Richter Pearson sprang auf. Er hechtete durch die winzige Kammer und die Treppe hinunter. Er fing an, mit der Faust gegen die Dachkammertür zu hämmern.
»Bringen Sie ihn zurück! Bringen Sie ihn zurück! Tommy! Tommy! Bringen Sie ihn zurück, Sie verdammte …«
Wut und Angst, Überraschung und Entsetzen kochten in ihm durcheinander, er fühlte sich betrogen, und ein unbändiger Haß erfüllte ihn. Er merkte, wie seine Augen sich mit Tränen füllten. »Tommy! Tommy!« schluchzte er los.
Er kippte vorwärts, lehnte sich an die Wand, verzweifelt über diese Niederlage.
Und ebenso rasch öffnete sich die Tür.
Er streckte, ohne nachzudenken, die Arme aus, sofort überwältigt von der Freude und der Erleichterung, den kleinen Jungen vor sich zu sehen. Dann erstarrte er. Olivia hatte Tommy gepackt und hielt ihm mit der einen Hand den Mund zu. Dann ließ sie ihn los, und er warf sich seinem Großvater in die Arme.
Richter Pearson schlang sie um den schluchzenden Jungen, und seine eigenen Tränen vermischten sich mit denen seines Enkelsohns. »Ich bin hier, Tommy, keine Angst, ich bin ja bei dir. Ich passe auf dich auf. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin doch hier, hier, hier …«
Er flüsterte ihm die letzten Worte ins Ohr, beruhigte ihn langsam, aber sicher.
Richter Pearson hob die Augen auf. Er strich Tommy übers Haar und drückte den Kopf des Jungen an die Brust.
Aber sein Blick traf den Olivias.
»Wer führt hier das Kommando, Alter?« fragte sie ihn brutal.
»Sie.«
»Das ist alles ein Teil unserer Ausbildung, du Schwein«, erwiderte sie, drehte sich um und verschloß die Tür hinter sich.
KAPITEL 4
Mittwoch früh
Zuerst kam ihnen das Wort wie elektrisch geladen vor, eine Energie lag darin, die sie beide zu überwältigen drohte: entführt. Sie hatten nicht gewußt, wie sie darauf reagieren sollten: Noch nie war ihnen etwas derartiges zugestoßen - sie waren noch nie Opfer eines Verbrechens geworden und kannten auch niemanden, der so etwas erlebt hatte: Kein Straßenraub und kein Wohnungseinbruch, nicht mal ein Autodiebstahl hatte sich in ihrer kleinen Welt ereignet. Einmal war ihnen ein Mann von der Junior High School bis nach Haus gefolgt, aber als ihre Mutter die Polizei anrief, stellte man fest, daß es sich um den zurückgebliebenen, erwachsenen Sohn des Vorsitzenden der Schulbehörde handelte. Er hatte sich verlaufen und war völlig harmlos, und die Zwillinge brachten ihn, nachdem sie ihm etwas zu essen gemacht hatten, zum Vater zurück.
Als sie sich also darüber klar zu werden versuchten, was denn nun genau über sie gekommen war, verwirrten sich ihre Gedanken. Dazu kam
Weitere Kostenlose Bücher