Die Rache
verkroch sich tief in seine Jacke und wartete, bis die Furcht nachließ.
Es war unmöglich. Er hatte sich nicht geirrt.
Noch immer zitternd zwang er sich, seine Hand wieder in die kalte, schweigende Höhle zu schieben, fastete den Boden erneut ab, strich über verrottete Holzbalken und dann über ein Stück vermoderten Stoff, das sich anfühlte wie ein totes Tier. Er berührte es von allen Seiten, sah die gelben Augen der Ratte vor sich, die sich da unten bereit machte zuzuschnappen, sich einen Finger zu nehmen, und geriet fast in Panik. Er schloß die Augen und tastete weiter.
Weiter vorne, eingewickelt in das kalte, fettige Tierfell, fühlte er die Waffe. Sie lag schwer in seiner Hand.
Der Streifen Licht im Osten war noch nicht breiter geworden. Lace hatte das Brett wieder über die Öffnung gelegt, seine Tasche war schwer, um seine Füße schlenkerten die Schnürsenkel.
Er ging hinüber zu Mamas Haus, damit man ihn vom Bereich aus nicht mehr sehen konnte. Niemand war auf der Straße. Nichts bewegte sich.
Er klopfte ein paarmal, dann hörte er drinnen Geräusche. Mama, im weißen Hausmantel, öffnete einen Spaltbreit die Tür. Als sie sah, daß es Lace war, ließ sie ihn ein.
»Wie spät ist es, Kind? Alles in Ordnung?«
Lace zog die Tür hinter sich zu und wartete, bis Mama sich neben der Lampe auf der Couch niedergelassen hatte, dann setzte er sich ans andere Ende. Er bemerkte, daß das zerstörte Fenster mit Pappe verschlossen worden war. Mama bettete eine Wolldecke über sich und schob die Füße unter die mächtigen Schenkel.
»Und«, fragte sie, »was machst du hier?«
Lace nahm die Waffe, die in einen alten Hemdsärmel gehüllt war, aus der Tasche und wickelte sie aus dem Stoff. »Wir müssen es jemandem erzählen«, sagte er.
Mama wandte die Augen nicht von der Waffe.
»Damit wurde Dido getötet, Mama«, sagte Lace. »Und Louis Baker hat ihn nicht getötet. Es ist Samsons Waffe.«
Die Mama nickte. »Wem sollen wir es erzählen? Legst du sie hin, bitte?«
»Sie ist noch geladen«, sagte Lace. Er richtete die Waffe auf sich.
»Nicht!«
Er erstarrte. »Was?«
»Leg sie auf den Boden. Leg sie einfach hin! Das Ding geht von selbst los, und was dann? Leg das Ding weg! Auf den Boden!«
Er beugte sich vor und legte sie auf den Boden.
Mama atmete erleichtert auf. »Solche Waffen sind gefährlich. Wo hast du sie her?«
»Sie gehört Samson. Gehörte Samson.«
»Das hast du schon gesagt.«
»Und das heißt, daß Louis Dido nicht umgebracht hat.«
»Kind, das wußte ich. Louis tut keinem mehr weh. Er will bloß das Haus in Ordnung bringen, aber sie lassen ihn nicht in Ruhe.«
»Er ist geflohen.«
»Du würdest auch fliehen, Kind, wenn sie hinter dir her wären.«
Lace lehnte seinen Rücken gegen die Polster. Seine Augen brannten. Er hatte die ganze Nacht wach gelegen und auf den Moment gewartet, in dem es genug Licht geben würde, um zu sehen, und genug Dunkelheit, um zu entkommen.
Bei Mama war er sicher, und Samson hatte die Waffe nicht mehr. Er – Lace – hatte sie. Das änderte die Lage der Dinge.
»Weißt du, Mama, wenn einer flieht, müssen sie dann nicht denken, daß er es getan hat?«
In die Decke gehüllt, wackelte sie mit dem Kopf. »Das stimmt.«
»Und wenn Louis abhaut, sagt er damit, ich war’s.«
»Aber wenn er nicht abgehauen wäre, hätten sie ihn verhaftet.«
»Er ist abgehauen, und sie haben ihn trotzdem verhaftet.«
»So was kommt vor, Kind.« Sie machte ein schnalzendes Geräusch und richtete ungeduldig ihre massigen Leib auf. »Das ist nichts Neues. Kriegst du einmal Schwierigkeiten mit den Bullen, hast du immer Schwierigkeiten mit ihnen. Dann bist du der erste, den sie sich holen.«
»Aber sie haben Louis wegen Dido verhaftet, und er hat Dido nicht getötet. Die Waffe beweist das.«
»In Ordnung«, erwiderte Mama. »Und?«
»Wir sagen es den Bullen.«
Sie kämpfte sich hoch. »Ich sage dir, was dann passiert. Hör gut zu. Die Bullen kommen her, und du redest über Louis und dieses Schießeisen hier. Sie sagen, interessant, und wieso hast du die Waffe? Und schon sitzt du neben Louis im Knast. Gefällt dir das?«
»Es wird nicht …«
Sie beugte sich vor und legte ihre fleischige Hand auf sein dünnes Bein. »Keiner denkt soviel an Louis wie ich. Er hat Dido nicht umgebracht, und vielleicht kommt es eines Tages raus, aber er kommt nicht raus, wenn du zu den Bullen gehst. Sie nehmen dir nur übel, daß du dich einmischst. Um seine Probleme muß man sich selbst
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