Die Rache
unwahrscheinlich war. Vielleicht kam er der Wahrheit nahe, vielleicht sie, aber vielleicht hatte sich alles auch vollkommen anders abgespielt. Plausible Theorien gab es genug. Ein guter Polizist mußte eine Theorie finden, für die eine hohe Wahrscheinlichkeit sprach, und sie untermauern oder – und das war besser – erst Beweise finden und dann Theorien.
Flo trat hinter ihn und umarmte ihn. »Wie wär’s mit Abendessen?« fragte sie.
»Es war umsonst«, sagte er. »Ich habe nichts von dem gefunden, was ich zu finden hoffte.«
Flo drehte ihn zu sich, legte die Hände auf sein Gesicht und schloß ihm mit den Daumen die Augen. »Merk dir, was du jetzt siehst und fühlst, merk es dir genau, und wenn du es eines Tages wieder brauchst, wird es da sein. Falls du es brauchst.«
Er spürte ihren Körper an seinem und legte seine Arme um sie. »So wie du, wenn ich dich brauche.«
»Ja«, antwortete sie. »Genau so.«
9
Manchmal, wenn Johnny LaGuardia so in sie eindrang wie jetzt, dachte Doreen Biaggi daran, wie es zwischen ihnen angefangen hatte. Als sie geglaubt hatte, er sei ein unglaublich netter, reizender Mann.
Sie war aus dem Molinari gekommen, mit einer Kleinigkeit zum Mitnehmen statt eines richtigen Abendessens, weil sie nicht viel Geld hatte. Ein paar Jungs aus der Nachbarschaft des North-Beach-Viertels folgten ihr und verspotteten sie, wie sie sie immer verspottet hatten, und riefen: »Da ist die Nase!« Doreen hielt den Kopf gesenkt, ging schneller, weinte in sich hinein. Sie war immer nett zu den Leuten. Warum mußten sie auf ihr herumhacken?
»Was hast du denn da, Naseen, einen Nasensalat? Vielleicht eine Nasadella?«
Ha, ha, ha. Sie zupften an ihren Kleidern, machten anzügliche Geräusche, griffen nach dem Essenspäckchen.
Dann war dieser große, noch recht junge Mann aufgetaucht, hatte sie fortgejagt und Doreen nach Hause gebracht. Johnny.
Sie sah ihn über ihre Schulter an. Er hatte die Augen geschlossen, bewegte sich vor und zurück, ließ sich Zeit …
Verlegen wegen ihrer Tränen und der verschmierten Wangen, hatte sie ihm nur danken und dann allein in ihr Apartment hinaufgehen wollen. Aber er schien so besorgt um sie zu sein. Mit einer zärtlichen Bewegung des Daumens strich er ihre Tränen fort, und dann führte er sie ins Little Joe’s aus – inzwischen ihr gemeinsames Restaurant –, um sie aufzuheitern. Sie begann, sich ihm zu offenbaren, erzählte, daß sie sich haßte, ihr Riechorgan, alles. Und er sagte, daß ihre Nase doch nicht so schlimm sei, was eine Lüge war, aber eine sehr nette, und fragte sie, warum sie sich nicht operieren lasse, wenn sie ihre Nase so sehr haßte.
Aber woher sollte eine Angestellte der City-Lights -Buchhandlung das Geld für eine Nasenoperation nehmen? Seit ihrem Abschluß an der High School vor drei Jahren hatte es nichts anderes für sie gegeben als Sparen und nochmals Sparen, und es war schwer genug, das Geld für die Miete, das Essen und angemessene Kleidung zusammenzubekommen. Soweit sie es absehen könne, hatte sie zu ihm gesagt, würde sie es nie schaffen, aus diesem Leben auszubrechen, und deshalb auch nie irgendwohin gelangen. Ein Teufelskreis …
Er beschleunigte seine Bewegungen, und sie ging ein bißchen mit, preßte sich gegen ihn, damit er schneller fertig würde. Sie griff nach hinten zwischen ihre Beine, fuhr mit den Fingernägeln über die Unterseite seiner Hoden, und er gab jenes Geräusch von sich, das ihr verriet, daß es jetzt nicht mehr lange dauern würde …
Aus seinem Mund hatte es so einfach geklungen. Sein Freund, Mr. Tortoni, sei bereit, ihr das Geld für die Operation zu leihen. Mit ihrem neuen Aussehen könne sie dann einen Job finden, der besser entlohnt wurde. Das Geld solle sie zurückzahlen, sobald sie dazu in der Lage sein werde. Bis dahin brauche sie sich nur um die Leihgebühr zu kümmern, und die sei für sie sicher sehr niedrig, vielleicht hundert Dollar pro Woche, ein Freundschaftspreis. Das hörte sich wirklich lächerlich gering an in diesem Moment, als Johnny Mr. Ehrlich LaGuardia ihr nicht nur den Kredit einredete, sondern auch von ihrer natürlichen Schönheit schwärmte, ihr die Chancen auf eine Karriere, auf eine glänzende Zukunft ausmalte.
Bald danach hörte es sich anders an. Die Nasenoperation war erfolgreich verlaufen, und sie sah jetzt aus wie die junge Sophia Loren, aber zu einem besser bezahlten Job verhalf ihr das nicht. Nach sechs Wochen, in denen sie sich nichts gekauft, nicht einmal
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