Die Rache
Gewißheit, daß sie wieder hinter ihm her waren, beruhigte ihn beinahe. Jetzt war es wieder so, wie er es gewohnt war. Das Gespräch gestern mit diesem Kerl – dem Farbigen, der in die Siedlung, in seine Wohnung gekommen war – war das Aufwärmtraining gewesen.
Er hatte im Knast gehört, wie es ablief. Am ersten oder zweiten Tag kamen sie und brachten einen aus dem Gleichgewicht. Dann, sobald sie sich etwas ausgedacht hatten, steckten sie einen zurück ins Loch.
Gut, jetzt, nach Didos Tod, mußten sie sich nichts mehr ausdenken. Alles, was sie brauchten, hatte er ihnen auf dem Silbertablett serviert. Jetzt war es egal. Was er mit dem Direktor besprochen hatte, über den geraden, anständigen Weg, den er vielleicht gehen könnte, war schon an der Bushaltestelle schiefgelaufen. Ingraham …
Die Sonne stand jetzt hoch genug. Besser, er stieg aus und bewegte sich.
Ingrahams Bild stand ihm vor Augen, das höhnische Lächeln, mit dem er zu sagen schien: Ich habe etwas, das du nie bekommen wirst … Leise schloß er die Autotür und ging am Zaun entlang zu der steinernen Kirche. Jetzt lächelte er selbst. Wer war tot? Er jedenfalls nicht. Lach darüber, Staats anwalt!
Aber Hardy war noch nicht tot. Und er, Louis Baker, befand sich wieder auf der Flucht, diesmal für den Mord an Dido, Ingraham oder was immer sie sich noch ausdenken würden. Darüber bestand kein Zweifel. Er war wirklich gut bedient.
Hardys Bild tauchte vor ihm auf und schob das Bild Ingrahams zur Seite. Hardy lebte noch, lief herum, genoß seine Freiheit. War das richtig? Sah so die Gerechtigkeit aus?
Er wußte, es war die einzige Gerechtigkeit, die er je zu sehen bekommen würde. Mit den Händen in den Hosentaschen verließ er den Parkplatz und trat hinaus auf die Fillmore Street.
Er kannte ein Waffengeschäft in der Gegend. Eine Schußwaffe wäre das richtige. Natürlich konnte er keine kaufen, aber irgendwo einzubrechen war für Louis Baker noch nie ein Problem gewesen.
Sie saßen im Auto und fuhren zu Frannies Wohnung zurück. Glitsky hatte Hardy für den nächsten Nachmittag zum Grillen zu sich nach Hause eingeladen. Ihr erstes Treffen unter Freunden seit den alten Tagen.
In Holly Park hatte Glitsky ihm erklärt, daß die verkaterte Mama nicht begriffen habe, was er sie bezüglich Louis’ gefragt hatte. Immerhin hatte sie genug gesagt, um Baker wegen Mittwoch nacht weiter verdächtig erscheinen zu lassen. Er sei erst nach Einbruch der Dunkelheit in der Siedlung angekommen, an die Uhrzeit erinnere sie sich nicht mehr. Nach Einbruch der Dunkelheit bedeutete: nach acht Uhr. Um zwei Uhr mittags war er aus San Quentin entlassen worden, und von dort brauchte man mit dem Bus keine Stunde bis San Francisco. Baker hatte ihr erzählt, er sei ›geschäftlich‹ in der Innenstadt gewesen.
»Was für ein Geschäft könnte er in der Innenstadt erledigt haben, Ma’am?« fragte Abe. »Wo er doch neun Jahre eingesperrt war?«
Sie wußte es nicht.
Hardy saß bei ihnen, während Lanier und Glitsky Mama verhörten. Er war sicher, daß er die Antwort nur allzugut kannte, und das sagte er Abe, als sie zu Frannies Wohnung fuhren.
»Ja, von mir aus«, sagte Glitsky. Er blinzelte in die Morgensonne und bog von der 280 nach Osten in die 101 ein. »Es ist ja nicht so, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß Baker die Morde begangen hat. Aber es ist mein Job, Beweise dafür zu finden. Das ist das Problem.«
»Und mein Job ist es, am Leben zu bleiben. Wir wissen beide, daß der Kerl ein Mörder ist. Du wirst mir zustimmen, daß er mindestens einen dieser Morde begangen hat.«
»Vielleicht.«
»Komm schon, Abe. Siehst du das wirklich anders?«
Glitskys Hände umklammerten das Steuerrad fester. »Diz, was ich sehe, ist einer jener Verdächtigen, die von vornherein verdächtig sein müssen . Mach dir das klar, der Kerl ist ein schwarzer Ex-Sträfling, und wir alle wissen, daß die Quote der Rückfälle ungefähr hundertzwei Prozent beträgt. Er hat keine Familie und …«
»Erspar mir das.«
Glitsky hob die Hand. »Ich habe nicht gesagt, daß er mir leid tut. Er ist ein Haufen Scheiße, einverstanden. Keine Arbeit, keine Chance, Arbeit zu bekommen, also wird er wieder straffällig, und wenn auch nur, weil es der einzige Weg ist, den er kennt, um durchzukommen. Aber wenn man ihn jetzt wegen jedes Mordes verdächtigt, bei dem er gerade in der Nähe war, gerate ich in Versuchung zu glauben, daß er nicht der Täter ist, sondern einfach nur eine Menge Pech
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