Die Radleys
Geschmack und die Erinnerungen, und vor allem wehrt sie sich gegen ihn, zerrt am Messer und stößt ihn weg.
Genau da sieht sie ihre Tochter zu ihnen hinauffliegen, durch den Regen.
»Nimm das Messer«, ruft ihr Helen zu.
Und Clara greift danach und entwindet die Waffe ihrem Onkel aus der Hand. Aber er stößt sie mit dem Ellenbogen, worauf das Messer bei den Felts auf dem Dach landet.
Das war’s, denkt Helen und findet sich mit Wills unerbittlicher Kraft ab. Am Ende wird er doch noch siegen.
Das Haus ist nur ein weiteres schwarzes Viereck an der Orchard Lane, von oben ein dünner Strich in der Dunkelheit.
»Bitte, Will, lass mich einfach gehen«, fleht sie ihn an. »Lass mich bei meiner Familie bleiben.«
»Nein, Helen. Tut mir leid. Es geht nicht nur um dich .«
»Bitte …«
Das Dorf existiert nicht mehr. Es ist ein umgekehrtes Stück vom Himmel, ein dunkler Raum mit Punkten, der sich schnell entfernt.
Ich liebe Peter, erkennt sie jetzt. Ich habe Peter immer geliebt. Das ist die Wahrheit. Sie erinnert sich, wie sie Hand in Hand, verliebt kichernd an einem grauen Tag, mit ihrem künftigen Ehemann die Clapham High Street entlanglief, um gemeinsam Malutensilien zu kaufen.
»Wenn du lieber woanders hinwillst«, brüllt ihr Will durch die dröhnende Luft ins Ohr, »ruf’s mir einfach zu. Valencia, Dubrovnik, Rom, New York. In Seattle gibt’s ’ne gute Szene. Mir wäre nach einem Langzeit … He, in Venedig waren wir noch nie, oder? Da könnten wir hin und ein Auge auf die venezianischen …«
»Will, wir können nicht zusammen sein.«
»Du hast recht. Können wir nicht. Aber eine Nacht können wir uns gönnen. Und dann, am Morgen, wird es mir sehr schwerfallen, dir die Kehle …«
Bevor die Drohung beendet ist, hört Helen Lärm. Eine Stimme, die sie kennt, dröhnt auf sie zu. Plötzlich wird ihr Körper in eine andere Richtung geschleudert. Anschließend ist es still, und sie merkt, dass sie fällt. Das Dorf, die Straße und das Haus bewegen sich mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zu, aber dann hört sie die Stimme ihrer Tochter, die sie anschreit.
»Flieg, Mum! Du kannst fliegen!«
Ja, denkt sie. Ja, ich kann wirklich fliegen.
Sie verlangsamt das Tempo in der Luft und vergisst die Schwerkraft, während ihre Tochter näher schwebt.
»Es ist Rowan«, sagt Clara und deutet auf die Silhouetten entfernter Gestalten, die über ihren Köpfen miteinander ringen. »Er kämpft mit Will.«
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DAS GESICHT SEINES VATERS
Rowan hörte den Schrei seiner Mutter.
Er riss ihn aus seiner Verzweiflung, und als er in den Himmel blickte, erkannte er die Silhouette seiner Mutter mit Will. Seine Verzweiflung verwandelte er in Wut und flog ihr eilends zu Hilfe. Und jetzt, während er Will tiefer und tiefer zur Erde zurückstößt, fällt ihm auf, dass er alles schaffen kann.
»Warum Eve?«, schreit er, wobei ihm seine Stöße immer leichter fallen. »Warum?«
Will sagt nichts. In seinen Augen liegt eine traurige Form von Stolz.
Tiefer und tiefer und tiefer.
»Sieh mal, Rowan«, sagt Will, dessen Regenmantel wie ein schlaffes Segel vor ihm herflattert. »Du bist wie ich. Merkst du das nicht? Du bist mein Sohn. Du bist mein Blut. Wir könnten gemeinsam die Welt bereisen. Ich könnte dir alles zeigen. Ich könnte dir verflucht gut zeigen, wie man richtig lebt .«
Rowan achtet nicht auf ihn, als er das Dach ihres Hauses überfliegt, Will mit dem Rücken den Dachfirst streift und dabei die obersten Schindeln löst. Einen Augenblick später sind sie über ihrem Garten, und Rowan stößt kräftig nach unten, was eine rasante Landung im Gartenteich zur Folge hat.
Dort angekommen, tunkt er Will ins kalte Wasser, mitbeiden Händen. Mit der einen drückt er das Gesicht nach unten, mit der anderen den Hals. Um ihn dort festzuhalten, auf dem Grund des Teichs, und die unermüdliche Kraft zu bezwingen, mit der Will aufzutauchen versucht, braucht er seine ganze Wut und Stärke.
Lange wird er das nicht schaffen. Ein ganzes Leben zügellosen Blutkonsums verleiht seinem Vater eine Kraft und Ausdauer, mit der Rowan nicht mithalten kann. Er hat nur seine momentane Wut, aber die wird nicht reichen.
Er schließt die Augen. Bemüht sich, seinen Hass weiter zu schüren, während Will immer heftiger gegendrückt, unaufhaltsam stärker wird, bis er mit schrecklicher, vulkanartiger Energie hochschießt, sodass Rowan rückwärts im Teich landet. Eine Hand landet am Grund des Teiches, um sich abzustützen. Ertastet etwas.
Keinen
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