Die Radleys
dass sich ihre Freundin anders anhört als sonst.
»Also, Senorita, wie sieht’s heute aus mit unserer Shoppingtour?«
»Ich kann nicht«, erklärt ihr Eve. »Ich habe Hausarrest.«
»Hausarrest? Du bist siebzehn. Das darf er nicht. Das ist illegal.«
»Er macht es aber trotzdem. Er hält sich nicht an Gesetze. Außerdem bin ich pleite.«
»Macht nichts. Ich kann für dich bezahlen.«
»Geht nicht. Mein Dad. Im Ernst.«
»Du bist nicht sein Eigentum.«
Die Art und Weise, wie Clara das sagt, ist so untypisch für sie, dass sich Eve einen Moment lang fragt, ob es tatsächlich ihre Freundin ist, mit der sie da spricht. »Du hörst dich heute so anders an.«
»Stimmt genau«, sagt die coole Stimme an Eves Ohr. »Mir geht es besser. Aber ich brauche unbedingt neue Klamotten.«
»Was? Du kotzt also nicht mehr?«
»Nein. Es ist weg. Mein Dad meint, es wäre ein Virus gewesen. Eins von den Teilen, die in der Luft herumschwirren.«
Clara hört ein Klopfen.
»Da ist jemand an der Tür«, sagt Eve.
»Ich weiß. Ich hab’s gehört.«
»Was? Wie denn das? Ich habe das doch gerade noch gehört … Egal, ich muss auflegen. Mein Dad macht nicht auf.«
»In Ordnung«, sagt Clara. »Dann komme ich bei dir vorbei.«
»Nein, ich glaube nicht, dass das eine …«
Clara hat aufgelegt, bevor sie den Satz beenden kann. Dann verlässt Eve ihr Zimmer und öffnet die Tür.
Sie tut so, als hätte sie ihren Dad nicht gehört, der im Wohnzimmer flüstert: »Eve, mach nicht auf.«
Sie öffnet die Tür und sieht Mr. Felt, den Vermieter, dermit seinem sturen, arroganten, geschäftsmäßigen Gesicht auf sie herabblickt.
»Ist dein Vater da?«
»Nein. Er ist weg.«
»Weg. Ja. Wie praktisch. Nun, du kannst ihm ausrichten, dass ich etwas ungehalten bin. Wenn ich die Miete der letzten beiden Monate bis nächste Woche nicht bekomme, müsst ihr euch was anderes suchen.«
»Er hat Arbeit«, erklärt ihm Eve. »Er kann jetzt bezahlen, es könnte nur noch ein kleines bisschen länger dauern. Hat, äh, Toby Ihnen nichts gesagt?«
»Toby? Nein. Warum sollte er?«
»Er sagte, er würde es Ihnen ausrichten.«
Und Mr. Felt lächelt sie an, aber nicht besonders freundlich. Es ist ein Lächeln, bei dem sie sich idiotisch vorkommt, wie die Pointe eines Witzes, den sie nicht versteht.
Er geht.
»Nächsten Montag«, sagt er bestimmt, »siebenhundert Pfund.«
[Menü]
EINE KLEINE PANIKATTACKE
Clara hat etwas gerochen, als sie im Bus saß. Einen schweren, exotischen Duft, der ihr in der überfüllten Linie sechs in die Stadt noch nie aufgefallen ist. Er irritierte sie so sehr, dass sie jedes Mal erleichtert war, wenn sich die Türen öffneten und frische Luft hereinkam, um ihre Sinne zu klären.
Aber jetzt ist er wieder da, überwältigt sie, während sie in einer Umkleidekabine vom Top Shop Sachen anprobiert. Dieser merkwürdig berauschende Duft, der sie an die wilde, zügellose Ekstase erinnert, die sie in der vergangenen Nacht gespürt hat.
Und sie sieht sich selbst. Über Harpers Körper, wie sie ihren Kopf wie ein Velociraptor in seine blubbernden Wunden taucht, um ihm immer mehr Leben auszusaugen. Sie zittert bei der Erinnerung, weiß aber nicht, ob vor Entsetzen über das, was sie getan hat, oder wegen der berauschenden Lust, von der sie weiß, dass sie sich wiederholen kann.
Nach Blut riecht es, fällt ihr auf, nach dem Blut von all den Körpern, die sich in den anderen Kabinen umziehen. Viele Mädchen, die sie nicht kennt, und eins, das sie kennt. Sie hat dieses Mädchen überredet, aus ihrer Wohnung und von ihrem Vater abzuhauen.
Verzückt tritt sie in ihren neuen Sachen heraus. Unsichtbare Kräfte ziehen sie zu der Nachbarkabine, wo sie den Vorhang öffnen will. Aber wie ein kalter Schatten kriecht Panik über ihre Haut, gerade noch rechtzeitig. Ihr Herz klopft,und es kribbelt in allen Gliedern. Ihr wird bewusst, was sie tut. Also rennt sie los. Weg von den Umkleidekabinen und durch den Laden, rempelt eine Schaufensterpuppe in einem bauchfreien Achtziger-Jahre-Top mit glitzernden Kruzifixen an. Die Puppe fällt um und landet rücklings auf einem Kleiderständer.
»’tschuldigung«, keucht Clara atemlos, aber ihren Weg nach draußen setzt sie fort. Der Alarm setzt ein, als sie mit den diebstahlgesicherten Sachen nach draußen rennt, sie kann aber nicht zurück. Sie braucht frische Luft, um ihre Gier zu besänftigen.
Das Geräusch von Schritten auf dem Beton dröhnt ihr im Kopf. Jemand rennt hinter ihr her. Sie stürzt in
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