Die Radleys
Samstage früher einmal hatten, vor Jahren, als er mit Will immer nach Soho in den Stoker Club, eine Bar für Mitglieder und bekennende Blutsauger in der Dean Street ging, um sich anschließend vielleicht auf einem Fleischmarkt am Leicester Square dieFleischauslagen anzusehen. Und manchmal, wenn sie vom VB gekostet hatten, hoben sie einfach ab über die Stadt, dem geschlängelten Lauf der Themse folgend, flogen sie davon zu einem wilden Vampirwochenende.
Valencia, Rom, Kiew.
Manchmal schmetterten sie den albernen Song, den sie als Teenager komponiert hatten, für ihre Band – The Haemo Goblins. An den Song kann er sich inzwischen nicht mehr erinnern. Nicht ganz.
Was war das doch für ein unbeschwertes, unmoralisches Leben gewesen! Er war froh, als er Helen kennenlernte und ein bisschen langsamer trat. Natürlich hätte er nie gedacht, dass er mit dem Bluttrinken ganz aufhören würde, kein frisches und auch kein anderes mehr. Nicht bis Helen schwanger wurde und von ihm verlangte, er müsse Prioritäten setzen. Nein, das hätte er nicht gedacht. So hatte er sich seine Zukunft nicht vorgestellt, mit Kopfschmerzen und Eintönigkeit und in einem kaputten Drehstuhl darauf wartend, dass die Tür aufging und noch ein Hypochonder ins Zimmer trat.
»Herein«, antwortet er müde auf das zarte Klopfen, das wie Hammerschläge in seinen Ohren dröhnt.
Er macht sich gar nicht erst die Mühe aufzusehen. Er bleibt einfach sitzen und kritzelt Blutstropfen in seinen Rezeptblock, bis ihm ein vage bekannter Geruch auffällt. Er schließt kurz die Augen, um den Duft zu genießen, schlägt sie dann wieder auf und sieht Lorna vor sich, vor Gesundheit strotzend in einer engen Jeans und einem Kaftan darüber.
Wenn er ein normaler Mann wäre, der seine Gelüste normal kontrollieren könnte, würde er in Lorna das sehen, was sie tatsächlich ist. Eine durchschnittlich attraktive Frau im Alter von neununddreißig Jahren mit manischen, zu stark geschminkten Augen. Aber für Peter scheint sie denHochglanzseiten von Helens Modemagazinen entsprungen. Er steht auf und küsst sie auf die Wange, wie auf einer Dinnerparty.
»Hallo Lorna! Du riechst gut.«
»Findest du?«
»Ja«, sagt er und versucht, sich nur auf ihr Parfüm zu konzentrieren. »Nach Wiese. Wie geht es dir?«
»Habe mir wie versprochen einen Termin geben lassen.«
»Ja. Ja, das hattest du gesagt. Nimm doch Platz.«
Sie lässt sich auf einem Stuhl nieder. Graziös, denkt er. Wie eine Katze. Eine schlanke Burmakatze ohne Angst.
»Ist mit Clara alles in Ordnung?«, fragt sie in besorgtem Ton.
»Ja, sicher. Clara ist … du weißt schon. Sie ist jung. Probiert aus … wie Teenager halt so sind.«
Sie nickt bei dem Gedanken an Toby. »Stimmt.«
»Also, worum geht es?«, fragt Peter.
Insgeheim hofft er, dass sie eine Erkrankung hat, die ihm die Lust auf sie nimmt. Hämorriden oder Verdauungsprobleme oder irgendwas in der Art. Aber ihre Beschwerden sind so damenhaft und viktorianisch, dass sie dadurch nur anziehender wird. Sie erzählt ihm, dass sie gelegentlich Schwächeanfälle hat, ihr schwarz vor Augen wird, wenn sie zu schnell aufsteht. Einen überheblichen Augenblick lang glaubt er, sie könnte sich das alles ausgedacht haben.
Trotzdem gibt er sich Mühe, professionell zu bleiben.
Er legt Lorna die Manschette des Blutdruckmessgeräts an und fängt an zu pumpen. Lorna lächelt ihm vertrauensvoll zu, während er seine Gier beim Anblick ihrer Venen zu unterdrücken versucht.
Hübsche feine blaue Streifen unter ihrer pfirsichfarbenen Haut.
Es hilft nichts.
Er kann sich nicht beherrschen.
Jetzt ist er verloren, sitzt in der Falle. Er schließt die Augen und sieht, wie er sich zu ihrem Arm hinunterbeugt, worauf sie kichern muss.
»Was machst du da?«, fragt sie ihn.
»Ich muss von dir kosten.«
»Was kosten?«
Sie sieht seine Reißzähne und schreit. Er gräbt seine Zähne in ihren Unterarm, woraufhin, wegen des Drucks in den Venen, Blut überall herumspritzt. In Peters Gesicht, auf Lorna, den Bildschirm, die Poster.
»Ist alles in Ordnung?«
Ihre Stimme unterbricht die Fantasie.
Peter, ohne Blut im Gesicht oder sonst irgendwo, blinzelt die Halluzination weg.
»Doch. Mir geht’s gut.«
Er liest den Blutdruck ab, löst die Manschette und versucht es mit Ernsthaftigkeit.
»Alles ganz normal«, sagt er, bemüht, sie nicht anzusehen oder durch die Nase zu atmen. »Ich bin sicher, dass nichts Ernstes dahintersteckt. Vielleicht fehlt dir einfach ein bisschen Eisen.
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