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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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nicht?«, sagt Lorna.
    Mark seufzt, dann schüttelt er den Kopf. »Ich muss … da sind Sachen, die … diese verdammte Mietgeschichte …« Er steht auf, geht ins Bad. Ihre Hand bleibt auf seiner Seite der Matratze liegen, auf der überflüssigen Wärme, die sein Körper zurückgelassen hat.
    Während sie lauscht, wie er ausgiebig pinkelt, beschließt sie, in der Praxis anzurufen und sich einen Termin bei Peter geben zu lassen (es muss unbedingt Peter sein). Und sie weiß, dass heute der Tag sein könnte, an dem sie den Mut aufbringt, ihren Nachbarn zu fragen, was sie ihn schon immer fragen wollte, seit sie seine intensiven, durstigen Augenauf sich gespürt hat, bei ihrem gemeinsamen Barbecue im vergangenen Jahr.
    Also nimmt sie das Schlafzimmertelefon von der Ladestation. Tobys Stimme ist in der Leitung. Sie bleibt dran und hört schweigend zu, was sie auch schon früher getan hat, auf der Suche nach Gründen, warum ihr Stiefsohn sie so sehr hasst. Warum hat Mark nie zu ihr gehalten, wenn es um Toby ging? Warum konnte er nicht sehen, wie sehr der Junge sie verachtet? Warum hat Mark nicht auf sie gehört und ihn an die Steiner-Schule in York geschickt? (»Na klar, und dann wird er Stelzenläufer und arbeitslos, wenn er groß ist«, waren Marks abschließende Worte zu dem Thema gewesen.)
    »Hi, ist Stuart da, bitte, Mrs. Harper?« Seine Stimme ist vor Höflichkeit kaum wiederzuerkennen.
    Und dann Mrs. Harper. »Stuart! Stuart! Stuart? « Dieses letzte »Stuart« ist so laut, dass Lorna den Hörer von ihrem Ohr weghalten muss. »Stuart, raus aus dem Bett! Toby ist am Telefon.«
    Aber von Stuart ist kein Ton in der Leitung zu hören.

[Menü]
    NEUE KLAMOTTEN
    Eve liegt im Bett in dem schlabberigen T-Shirt, das sie vor zwei Jahren in der Nacht getragen hat, in der ihre Mutter verschwand. Sie hätte es ausgemustert, wenn das nicht passiert wäre, denn es ist ausgewaschen und am Halsausschnitt voller Löcher, weil sie daran gekaut hat, und wirbt außerdem für eine Band, die sie nicht mehr interessiert.
    Das T-Shirt wegzuwerfen würde eine weitere Brücke zwischen der Zeit davor und der Zeit danach einreißen, und so viele Brücken gibt es nicht mehr, seit sie hierhergezogen sind.
    Ihr altes Haus in Sale war so anders gewesen als diese Wohnung. Vor allem war es ein Haus gewesen und keine Mietwohnung für Rentner. Es war ein Ort, der eine Seele hatte, und in jeder Ecke eines jeden Zimmers hatte es Erinnerungen an ihre Mutter gegeben. Diese Behausung hier war erbärmlich und vermittelte eine kalte Form von Traurigkeit, ein moderner Backsteinbau, traurig wie die Wohnungen alter Leute.
    Natürlich konnte sie die Situation teilweise verstehen. Sie wusste, dass sie wegen der Arbeitslosigkeit ihres Vaters keine Chance hatten, die Raten weiter zu bezahlen. Aber trotzdem . Warum gleich in ein anderes County ziehen? Warum auf die andere Seite der Penninen ziehen? Hundert-oder-wie-viele-Kilometer-auch-immer weit weg von der Küche, in der sie mit ihrer Mutter immer zu alten Schlagern im Radio getanzt hatte?
    Warum das alte Bett zurücklassen, auf dessen Bettkante sich ihre Mutter immer gesetzt hatte, um mit ihr über Gedichte und Bücher zu reden und über alles, was sie für ihren Abschluss brauchte? Oder Eve nach der Schule und Freundinnen und Freunden gefragt hatte?
    Sie schließt die Augen und sieht sie jetzt vor sich, in der Galerie ihrer Erinnerungen mit ihrem Lächeln, das Eve stets wie selbstverständlich hingenommen hat. Und dann platzt ihr Vater in ihre Erinnerungen, indem er ihr mitteilt, dass sie das ganze Wochenende nicht aus dem Haus gehen darf.
    »Was?«, fragt sie und verrät mit ihrem Krächzen unverkennbar, dass sie verkatert ist.
    »Tut mir leid, Eve. Nur dieses Wochenende. Du musst zu Hause bleiben.«
    Er hat immer noch den Mantel an, weil er irgendwo draußen war, und seine Miene ist so unbeweglich wie ein Felsbrocken.
    »Warum?« Das ist anscheinend die einzige Frage, die ihr derzeit einfällt und auf die sie meistens, genau wie jetzt, keine befriedigende Antwort bekommt.
    »Eve, bitte, ich sage dir, geh nicht aus dem Haus. Ich sage es dir, weil es wichtig ist.«
    Und das ist alles. Mehr sagt er nicht, bevor er das Zimmer verlässt.
    Eine knappe Minute später vibriert ihr Mobiltelefon auf dem Nachttisch.
    Sie sieht »Clara« auf dem Display aufleuchten. Bevor sie das Gespräch annimmt, steht sie aus dem Bett auf und schließt die Tür, dann schaltet sie das Radio ein.
    Als sie endlich abhebt, fällt ihr auf,

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