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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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dem sechsten Stock des Chester House. Sie blickte gerade aus dem Fenster auf den Berufsverkehr, der weit unter ihr über den inneren Ring kroch, sich etappenweise vorwärts schiebend wie die Perlen in einem Rosenkranz. »Oder wenigstens Ihre Schwester.«
    »Er ist nicht mein Freund.«
    Alison hatte die Bitterkeit in seiner Stimme wohl gehört. Sie wusste, dass Loyalität unter Vampiren selten war, aber seine starke Abneigung gegen Will wunderte sie.
    »Ist gut, Otto, ich dachte bloß …«
    Er fiel ihr ins Wort. »Glauben Sie mir, was aus Will Radley wird, interessiert niemanden mehr.«

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    Unblutige Freunde und Nachbarn sollten Sie niemals auf Ihre Vergangenheit hinweisen und auch nur dann von der erregenden Gefahr des Vampirismus schwärmen, wenn Ihr Gegenüber so etwas kennt.
    Handbuch für Abstinenzler
(Zweite Ausgabe), S. 29

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    FREAK
    Es ist sehr gut möglich, Tür an Tür mit einer Vampirfamilie zu leben, ohne auch nur zu ahnen, dass sie einem insgeheim das Blut aus den Venen saugen möchten.
    Besonders leicht kann das passieren, wenn die Hälfte der besagten Familie selbst noch gar nichts davon weiß. Und obwohl es stimmt, dass im Hause Orchard Lane Nummer neunzehn niemand eine Ahnung hatte, wer tatsächlich im Nachbarhaus lebte, waren den Felts über die Jahre einige Widersprüche aufgefallen, die Fragen aufwarfen.
    Da war jener Vorfall, als Helen Lorna porträtierte – ein Aktbild, weil Lorna darauf bestand – und Helen aus dem Zimmer stürzte, wenige Sekunden, nachdem sie Lorna geholfen hatte, den BH zu öffnen: »Tut mir wirklich leid, Lorna, manchmal habe ich eine entsetzlich schwache Blase.«
    Oder beim Grillen bei den Felts, als Mark in die Küche kommt und dort Peter trifft, der sich von den Gesprächen seiner Nachbarn über Sport fortgeschlichen hat, um dort an einem rohen Stück erstklassigen Filetsteaks herumzulutschen – »O Gott, ja, es ist noch gar nicht gebraten – wie dumm von mir!«
    Außerdem hatten die Felts, Monate bevor Peter wegen Lornas knoblauchverseuchtem Thai-Salat würgte, den Fehler begangen, ihren neuen Hund Nutmeg mitzubringen, damit er die Nachbarn kennenlernte, worauf besagter Hund vor dem von Clara dargereichten Keks die Flucht ergriff undmit dem Kopf zuerst gegen die Terrassentür prallte. »Er wird’s schon überleben«, erklärte Peter mit ärztlicher Fachkompetenz, als sich alle besorgt über den auf dem Teppich liegenden Irish Setter beugten. »Er hat nur eine leichte Gehirnerschütterung.«
    Und dann waren da noch weitere kleine Auffälligkeiten.
    Warum, zum Beispiel, hielten die Radleys an sonnigen Tagen stets die Läden geschlossen? Warum, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ließ sich Peter nicht überreden, dem Cricket-Club von Bishopthorpe beizutreten oder wenigstens mit Mark und seinen Freunden eine nette Golfrunde zu drehen? Und warum mussten Peter und Helen, deren Garten nur ein Drittel des weitläufigen und regelmäßig gemähten Rasens der Felts betrug, unbedingt einen Gärtner engagieren?
    Marks Verdachtsmomente mochten stets etwas stärker gewesen sein als die seiner Ehefrau, er schloss daraus aber nur, dass die Radleys etwas seltsam waren. Und das führte er auf die Tatsache zurück, dass sie in London gelebt hatten und vermutlich die Demokraten wählten und oft ins Theater gingen, wo sie sich nicht nur Musicals ansahen.
    Nur sein Sohn Toby hegte eine aktive Abneigung gegen die Radleys und schnauzte Mark jedes Mal an, wenn er ihren Namen erwähnte.
    »Das sind Freaks«, sagte er dann, ohne die Hintergründe seines Vorurteils zu benennen. Mark erklärte dies mit Lornas Theorie, dass sein Sohn niemandem mehr trauen konnte, seit sich er und Tobys Mutter vor fünf Jahren hatten scheiden lassen. (Mark hatte seine damalige Ehefrau mit ihrem Pilates-Trainer im Bett erwischt, und während Mark die Sache nicht allzu viel ausmachte – er hatte bereits ein Verhältnis mit Lorna angefangen und ohnehin nach einem Weg gesucht, seine Ehe zu beenden –, hatte der elfjährigeToby auf die Nachricht von der Trennung seiner Eltern reagiert, indem er wiederholt an die Wand seines Zimmers pinkelte.)
    Aber an diesem Sonntagmorgen regen sich Marks Zweifel zum ersten Mal. Während Lorna den Hund ausführt, isst er sein Frühstück am kalten, polierten Granit der Frühstücksbar. Den Toast mit Zitronenmarmelade hat er zur Hälfte aufgegessen, als er hört, wie sein Sohn ein Telefongespräch entgegennimmt.
    »Was? … Immer noch nicht? … Nein, ich hab keine Ahnung

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