Die Radleys
gerade noch die Polizei bei ihnen war. »Er ist da. Er ist nach oben gegangen. Sein Zimmer ist das erste rechts.«
Eve findet ihn an seinem Schreibtisch sitzend vor, mit dem Rücken zu ihr. Er stöhnt und drischt hektisch mit den Armen zuckend auf irgendetwas ein. Ein X-Box-Spiel, stellt sie mit einiger Erleichterung fest. Er nimmt ihre Anwesenheit kaum zur Kenntnis, als sie auf sein Bett zugeht, um sich zu setzen. Da sitzt sie eine Weile und betrachtet die diversen Poster an den Wänden – Lil Wayne, Megan Fox, Tennisspieler, Christian-Bale-Filmplakate.
»Flammenwerfer! Flammenwerfer! Stirb … ja .«
»Also«, sagt Eve, als sie sieht, dass er sich zwischen zwei Levels befindet. »Das mit Freitagnacht tut mir leid. Mein Dad kriegt bloß immer gleich eine Krise, wenn ich zu spät komme.«
Toby gibt kaum mehr als ein zustimmendes Grunzen aus den Tiefen seiner Kehle von sich und fährt fort, Eidechsen in Brand zu setzen.
»Was wollte die Polizei hier?«
»Harper wird vermisst.«
Es dauert eine Weile, bis Eve das richtig umgesetzt hat. Aber dann erinnert sie sich an die beiden Männer, die sich vor dem Zeitungskiosk unterhalten haben.
»Vermisst? Was meinst du mit vermisst ?«
Das Entsetzen in diesem Wort kennt sie nur allzu gut.
»Er ist am Freitag nicht nach Hause gekommen. Nach der Party.«
Eve steht unter Schock.
Harper ist ein ungehobelter Brutalo, aber er ist Tobys Freund und könnte in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. »O Gott«, sagt sie. »Wie schrecklich. Meine Mum ist vor zwei Jahren auch verschwunden. Wir haben immer noch nicht …«
»Clara weiß was«, sagt Toby und fällt Eve aggressiv ins Wort. »Blöde Schlampe. Ich weiß, dass sie was weiß.«
»Clara ist keine Schlampe.«
Toby runzelt die Stirn. »Und was ist sie dann?«
»Sie ist meine Freundin.«
Die Tür wird aufgestoßen, und der lebhafte Setter kommt schwanzwedelnd ins Zimmer gesaust. Eve streichelt ihn und lässt sich die salzige Hand ablecken, während Toby weiterredet.
»Nein. Du hast dich mit ihr abgegeben, weil du hier neu warst. So läuft das eben. Man kommt an eine neue Schule,und dann muss man mit dem freakigen Mädchen mit der Brille abhängen. Aber jetzt bist du schon seit Monaten hier. Du könntest jemanden haben, der, na ja, so ist wie du. Statt einer Schlampe mit einem freakigen Bruder.« Der Setter wendet sich nun Toby zu und stupst ihn mit der Nase am Bein, der nach ihm tritt, um das Tier loszuwerden. »Blöder Köter.«
Eve blickt auf den Bildschirm, an dem er gerade gespielt hat. GAME OVER.
Kann schon sein.
Sie seufzt. »Ich gehe dann mal wieder«, sagt sie und steht auf.
»Viel Zeit habt ihr allerdings nicht.«
»Was?«
»Mein Dad will das Geld. Die Miete.«
Eve sieht ihn an. Noch ein egoistisches Schwein, das sie auf die Liste mit den egoistischen Schweinen setzen wird.
»Danke«, sagt sie, wild entschlossen, sich keine Gefühle anmerken zu lassen. »Ich geb’s weiter.«
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POLIZEI
Eigentlich müsste sich Clara Radley fürchten, weil sie zwischen ihren Eltern auf dem Wohnzimmersofa sitzt, während sie von zwei Polizeibeamten über einen Jungen befragt wird, dessen Tod sie zu verantworten hat. Vor allem, wenn ihr nächster Nachbar alles Erdenkliche getan hat, um sie anzuschwärzen. Aber anstatt die Situation stressig zu finden, fühlt sie seltsamerweise gar nichts. Das Ganze ist ungefähr so nervenaufreibend wie ein Gang zum Postamt.
Sie weiß, dass sie sich Sorgen machen sollte, und sie bemüht sich sogar, die Sorgen ihrer Mutter zu teilen, aber es gelingt ihr nicht. Jedenfalls nicht so, wie es von ihr erwartet wird. Irgendwie fühlt sich das Ganze eher lustig an.
»Und warum ist dir Stuart gefolgt, wenn ich fragen darf?«, will der männliche Beamte, PC Hen- irgendwas , von ihr wissen. Er lächelt freundlich, die Frau neben ihm ebenfalls. Überhaupt sind alle überaus freundlich.
»Das weiß ich nicht«, sagt Clara. »Es könnte sein, dass Toby ihn darauf gebracht hat. Er hat einen boshaften Sinn für Humor.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, dass er nicht besonders nett ist.«
»Clara«, sagt Helen mit leicht tadelndem Unterton.
»Ist schon gut, Helen«, sagt Peter. »Lass sie ausreden.«
»Gut«, sagt der Polizist. Er starrt gebannt auf den hellen Teppich, während er an seinem Kaffee nippt. »Ein hübschesHaus haben Sie. Erinnert mich ein bisschen an das von meiner Mutter.«
»Danke«, flötet Helen etwas angespannt. »Diesen Raum haben wir im letzten Sommer renovieren
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