Die Radleys
lassen. Sah ein bisschen trist aus.«
»Ist wirklich schön geworden«, fügt seine Kollegin hinzu.
Von dir ist das wohl kaum als Kompliment zu verstehen, denkt Clara, als ihr auffällt, dass die Frau ihre schrecklichen Haare zu einem klassischen Dutt straff nach hinten gekämmt hat, nur der eckige Pony klebt ihr wie ein Schlammklecks auf der Stirn.
Wo kommen bloß all die hässlichen Gedanken her?
Seit einiger Zeit findet sie, dass man über alles und jeden lachen muss, wenigstens im Kopf. All die Verlogenheit, genau wie in diesem Zimmer mit all seinen nutzlosen leeren Vasen und dem geschmackvoll kleinen Fernseher, findet sie hohl wie ein Werbeplakat.
»Also«, sagt der männliche Beamte, um wieder zum Thema zurückzukehren, »ist er dir gefolgt? Und was hat er gesagt? Hat er etwas gesagt?«
»Doch, ja.«
»Was? Was hat er gesagt?«
Sie beschließt, sich zu amüsieren. »Er sagte: ›Clara, warte.‹«
Es folgt eine Pause. Die Polizisten sehen sich an. Helen runzelt die Stirn.
»Und?«
»Und dann sagte er, dass er auf mich steht. Was komisch war, weil mir das normalerweise nicht passiert, dass Jungs auftauchen und so was sagen. Und außerdem war er betrunken und wurde ein bisschen zudringlich, da habe ich vorsichtig versucht, ihn loszuwerden, aber dann fing er an … ich sag das nicht gern, aber … aber dann fing er an zu weinen .«
»Zu weinen?«
»Ja. Wie gesagt, er war betrunken. Er stank nach Alkohol. Trotzdem war es seltsam, ihn weinen zu sehen, weil das eigentlich nicht zu ihm passte. Ich hätte ihn eigentlich nicht für den sensiblen Typ gehalten, aber schließlich kann man ja nie wissen, oder?«
»Nein. Und wie ging es dann weiter?«
»Gar nicht. Ich meine, er weinte. Und vermutlich hätte ich ihn trösten müssen oder so, aber das tat ich nicht. Und das war es dann.«
Die Polizistin mit dem Schlammklecks-Pony blickt von ihrem Block auf. Plötzlich wirkt sie irgendwie strenger. »Es?«
»Ja. Na ja, er ging weg.«
»Wohin weg?«
»Weiß ich nicht. Zurück zur Party.«
»Niemand hat ihn mehr auf der Party gesehen, nachdem du weg warst.«
»Dann muss er eben irgendwo anders hingegangen sein.«
»Wohin?«
»Ich weiß es nicht. Er war ziemlich aufgelöst. Habe ich doch gesagt.«
»Er war ziemlich aufgelöst und ist einfach weggegangen. Einfach so?«
Helen richtet sich auf. »Sie regt sich ziemlich auf, weil der arme Stuart vermisst wird und …«
»Nein«, sagt Clara, was die beiden Polizisten veranlasst, vor Verblüffung nicht mehr weiterzukritzeln. »Nein, ich rege mich nicht auf, weil er vermisst wird. Ich weiß nicht, warum die Leute das tun, immer wenn jemand stirbt. Warum wir alle so tun müssen, als ob das lauter großartige, untadelige Leute wären, dabei haben sie alle gehasst, als sie noch lebten.«
Die Polizistin sieht aus, als wäre sie gerade gestolpert. »Du hast eben ›stirbt‹ gesagt.«
Clara begreift die Bedeutung nicht auf Anhieb. »Was?«
»Du hast gerade gesagt: ›Immer wenn jemand stirbt.‹ Wir wissen nur, dass Stuart vermisst wird. Mehr nicht. Es sei denn, du weißt etwas anderes?«
»Es war bloß bildlich gemeint.«
Peter gibt einen Seufzer von sich und legt seinen Arm um Clara, um Helen heimlich an die Schulter zu tippen.
Die Augen der Beamtin sehen Clara fragend an. Eine leichte Unruhe macht sich breit. »Nein, ich wollte nur ganz allgemein etwas sagen.«
Sie ist überrascht, weil ihre Mutter unvermittelt aufsteht.
»Mum?«
Helen lächelt verkniffen. »Ich muss bloß kurz nach dem Wäschetrockner sehen. Er piept, tut mir leid.«
Die Polizisten sind genauso verwirrt wie Clara. Keiner hat irgendwo etwas piepen hören.
Will hat nicht geschlafen, als Helen an seinen Camper klopft. Er starrt die alten getrockneten Blutflecken an der Decke an. Eine Art Sternenkarte, Abbild seiner eigenen verkommenen Geschichte. Einer Geschichte, auf der er außerdem liegt, niedergeschrieben in sieben ledergebundenen Tagebüchern unter seiner Matratze. Lauter Nächte mit wilden, zügellosen Gelagen.
Jemand klopft an die Tür seines Busses. Er öffnet und sieht eine verzweifelte Helen vor sich.
»Lust auf einen Ausflug nach Paris heute Nacht?«, fragt er sie. »Sonntagnacht am Ufer der Seine. Nur du, ich und die Sterne.«
»Will, die Polizei ist da. Sie verhören Clara. Es läuft schief. Du musst da reingehen und mit ihnen reden.«
Er klettert aus dem Bus, sieht den Streifenwagen. Trotz des grellen Tageslichts fühlt sich das gut an. Helen bittet ihn, etwas zu
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