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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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immer niedriger. Mitte Juni
sah ich die ersten Anzeichen. Zuerst magerten meine Oberarme so ab, dass meine
Trikotärmel nicht mehr anlagen; ich spürte, wie sie im Fahrtwind gegen meinen
Trizeps flatterten. Dann fing mein Hintern an zu schmerzen, wenn ich auf
unseren hölzernen Esszimmerstühlen saß. Ich hatte dort kein Fett mehr und saß
direkt auf dem Knochen. Dann wurde meine Haut so dünn und durchscheinend, dass
Haven behauptete, sie könne die Umrisse meiner Organe sehen. Schließlich hörte
ich von Freunden, ich sehe erbärmlich aus – ich sei ja nur noch Haut und
Knochen. In meinen Ohren klang es wie ein Kompliment. Ich war fast am Ziel.

11
    DIE ATTACKE
    Die Tour de France 2003 begann eigentlich drei Wochen
früher, bei der Dauphiné Libéré. Lance gewann dort zwar, aber Iban Mayo und
andere Kletterspezialisten, die sich etwas Neues hatten einfallen lassen,
stellten ihn auf die Probe: Sie bedienten sich seiner eigenen Mittel. Es war
diesmal nicht Lance, der die Konkurrenz mit Temposteigerungen unter Druck
setzte. Mayo drehte den Spieß um, trat immer und immer wieder kurz an. Es
reichte nicht, um Lance zu besiegen, setzte ihm aber zu, und wir mussten
aufpassen.
    Statt vier Tage vor dem Start einen BB in Madrid zuzuführen, hatten Bjarne, Ufe und ich einen besseren, wenn auch
riskanteren Plan entwickelt: Der erste BB sollte am
Tag vor dem Start der Tour in Paris verabreicht werden. Dahinter steckte der
Gedanke: Je kürzer vor Rennbeginn man mir den BB gab, desto länger würde die Wirkung anhalten. Zur Vorbereitung stabilisierte
ich meinen Hämatokritwert bei 45. Ich absolvierte die medizinische Kontrolle
zusammen mit dem Rest des Teams und fuhr dann mit dem Taxi zu dem Hotel, das
Ufe gewählt hatte: ein kleines, heruntergekommenes Haus, 15 Minuten vom
Tour-Hauptquartier entfernt. Alles ging glatt. Bald darauf stand mein
Hämatokritwert bei 48, und ich war bereit. Am nächsten Tag lief es sogar noch
besser, denn zum ersten Mal überhaupt schlug ich Lance beim Tour-Prolog. Alles
passte: Auf dem Rad stimmten die erzielten Werte, das Gewicht war gut, Ufe
stand mit zwei weiteren BBS bereit, und das Team
war stark. Am nächsten Tag, als wir kurz vor dem Ziel der ersten Etappe das
Tempo anzogen, hatte ich das Gefühl, hier könnte einiges möglich sein.
Vielleicht war dies mein Jahr.
    Und dann folgte ein Unfall.
    Normalerweise hört man einen Unfall, bevor man ihn sieht. Es ist ein
metallisches, kratzendes, knirschendes Geräusch, als schrappte eine zerdrückte
Coladose über Beton – aber tausendfach verstärkt. Dann hört man das Quietschen
der Bremsen und dieses weiche Plumpsen – Körper, die auf dem Asphalt landen.
Fahrer schreien in vielen Sprachen durcheinander: » AUFPASSEN !«,
» SCHEISSE !« – aber da ist es längst zu spät. Es ist
eines der schrecklichsten Geräusche überhaupt.
    Unfälle bei der Tour sind wie alle anderen Unfälle auch, nur fallen
sie größer und folgenschwerer aus. Dieser eine war besonders spektakulär: Am
Ende der Etappe noch eine enge Kurve, alle fahren wie der Teufel, kämpfen um
eine gute Platzierung. Eine falsche Bewegung – in diesem Fall schnitt ein
französischer Fahrer einem Spanier den Weg ab – löst eine Kettenreaktion aus.
Aus der Distanz sieht es aus, als würde mitten im Peloton eine Bombe hochgehen.
Und ich war mittendrin, hatte keine Chance, anzuhalten oder auszuweichen – oder irgendetwas anderes zu tun, als mich ganz steif zu machen und abzuwarten,
wie’s mich treffen würde. Ich knallte in den Haufen, kam zum Stillstand, wurde
zu Boden geschleudert. Als ich auf dem Asphalt landete, sah ich Sterne. Ich
hörte ein Knacken. Meine Schulter.
    Scheiße.
    Ich überquerte die Ziellinie mit einem wie leblos herabhängenden
linken Arm. Die Röntgenbilder zeigten einen doppelten Schlüsselbeinbruch, eine
hübsche V-förmige Fraktur. Eher reflexartig fragte ich, ob an eine Fortsetzung
der Tour zu denken sei, und der Doktor antwortete, ohne zu zögern. Ce n’est pas possible. Unmöglich.
    Schlagzeilen in aller Welt meldeten: Hamilton ist
draußen. Ein Schlüsselbeinbruch ist im Radrennsport keine Seltenheit,
und was dann folgt, ist klar: eine oder zwei Wochen ohne Radfahren, keine
Frage. Es war niederschmetternd. Die ganze Arbeit, die Vorbereitung, all die
Risiken, die ich auf mich genommen hatte. Der IMAX -Film,
die Sponsoren, das Team, alles aus und vorbei. Bjarne und ich hatten beide
Tränen in den Augen.
    Ich fragte einen zweiten Arzt: Wie dachte er

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