Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
glitzern zu sehen.
Sie würde sich an diesen Anblick niemals gewöhnen, und sie würde auch niemals verstehen, ob die Menschen der Erde aufgrund der Mauer in ein Gefängnis eingepfercht worden waren oder ob sie sie als Treppe verstehen sollten, die ihnen den Zugang zum Himmel ermöglichte.
Gottes Absicht lag im Dunkeln, und Er selbst schien sie nicht erkennen zu können. Reverend Cheadle, der seine Predigten in der Kirche St. John Horofabricus hielt, hätte dieser Gedanke schockiert.
Childress lachte in sich hinein, als Sun-Wei, der leitende Ingenieur, die Leiter zu ihnen hinaufkletterte. Kapitän Leung und Bootsmann al-Wazir hatten sich bereits in den engen Turm gequetscht.
»Warum lachen sie?«, fragte Sun-Wei und bemühte sich, sehr deutlich zu sprechen, damit sie seine chinesischen Worte verstand.
Sie dachte einen Moment lang nach, um eine nachvollziehbare Antwort zu formulieren. »Die Welt ist zu groß für eine Frau.«
Leung lachte leise. »Ich hätte eigentlich behauptet, dass die Welt selbst für eine Frau zu klein ist.«
»Für einige Frauen«, sagte al-Wazir und blickte zur Mauer.
Paolina , dachte Childress. »Wir haben viel zu tun. Die chinesischen Bestrebungen an Ihrer Goldenen Brücke drohen Ihrem Kaiserreich den Zugang zur Südlichen Hemisphäre zu ermöglichen. Ich weiß noch nicht, wie wir sie aufhalten können, aber ich werde es tun. In jedem Fall brauchen wir eine Atempause. Irgendwo. Erzählen Sie mir daher mehr über dieses Goa.«
»Der Hafen ist …« Leung sah auf ein Stück Papier, das an seiner Karte festgemacht war. »Auf Englisch heißt er Alt-Goa. Die Portugiesen nennen ihn Velha Goa .«
»Portugal untersteht als Protektorat der britischen Krone«, sagte Childress. »Ich weiß nicht, wie uns das helfen soll.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte al-Wazir langsam. »Ich bin nie nach Goa gefahren, nicht auf einem meiner Schiffe. Aber den Neulingen gefällt es dort sehr gut. Es ist eine freie Provinz, deren Rechtsgrundlagen Ihre Kaiserliche Majestät nie verändert hat. Besteht nur aus Spielhöllen und teuren Mä–« Er unterbrach sich und lief rot an.
»Bootsmann, ich glaube, ich habe es verstanden.« Childress schaffte es, sich ihr Amüsement nicht anmerken zu lassen. »Der Hafen ist für fremde Schiffe oder Neutrale nicht verschlossen.«
Leung räusperte sich. »Ein Unterseeboot wird sicherlich nicht positiv aufgenommen werden. Ihre Navy setzt sie nicht ein, sondern zieht es vor, den Kampf aus der Luft zu führen. Es wird keinen Zweifel an unserer Herkunft geben.«
»Dann werden wir eine andere Flagge hissen«, sagte Childress.
Sowohl Leung als auch al-Wazir wirkten entsetzt. Sun-Wei schien einfach nur verwirrt.
Sie sah sie zornig an. »Haben Sie etwa ein Problem damit, unter falscher Flagge zu fahren? Welche haben wir Ihrer Ansicht nach heute gehisst, bitte schön?«
»Keine«, gab al-Wazir zu.
Sie hakte nach. »Wir können die chinesische Flagge nicht setzen. Ich habe meine Zweifel daran, dass sich die White Ensign an Bord befindet, und unser tapferes Unterseeboot würde niemanden täuschen, wenn wir die englische Flagge hissten. Quod erat demonstrandum : Wir hissen eine andere Flagge.«
»Aber das ist falsch«, sagte al-Wazir.
»Welche Flagge schlagen Sie vor?«, fragte Leung.
Childress brachte ihren Zorn unter Kontrolle – ein äußerst seltenes Ereignis. »Haben Sie irgendwelche Landesflaggen an Bord, zum Beispiel von Singapur oder Taiwan?«
Leung bellte Sun-Wei einige Befehle zu und lächelte dann. »Singapur ist mein Geburtsort. Es ist außerdem ein ehemaliger englischer Außenposten. Es würde passen. Bedauerlicherweise habe ich eine solche Flagge nicht an Bord.«
»Dann werde ich eine für uns entwerfen. Ich weiß, dass ihre Männer nähen können.«
Al-Wazir knurrte. »Sie sind beide verrückt.«
Leung legte einen Kurs fest. Al-Wazir starrte missmutig auf das Stück der Mauer, das sich südlich von ihnen in den Himmel erhob. Childress sah einen Schwarm silberfarbener Fische wie glitzernde Münzen durch Wellenkämme brechen und fragte sich, wie sie wohl in Goa aufgenommen werden würden.
Ihre Ankunft im Hafen erinnerte nicht im Geringsten an die Heimkehr der Five Lucky Winds nach Tainan. Der Hafen hatte eine andere Form, denn es handelte sich praktisch nur um eine große, seichte Flussmündung. Sie war über drei Kilometer breit und bot gegen Stürme aus dem Westen praktisch keinen Schutz. Die alte portugiesische Stadt befand sich einige Kilometer
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