Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
älteren Matrosen ließen erkennen, dass sie Cotonou kurz nach Sonnenaufgang erreichen sollten. Boas hatte keine Vorstellung von der Größe der britischen Präsenz.
»Es ist ein ruhiger Posten«, teilte ihm Kitchens mit. »Seit dem Verlust der Bassett wurde er verstärkt, um ein aktiveres Vordringen entlang der Mauer zu ermöglichen. Wir haben die westafrikanischen Stützpunkte vernachlässigt, weil es hier so geringen Widerstand gegeben hatte. In den letzten beiden Jahren sind die Übergriffe der Chinesen aber wesentlich aggressiver ausgefallen. Die Mauer wehrt sich mittlerweile ebenfalls heftiger gegen uns.«
»Sie werden niemals gegen die Mauer gewinnen können«, sagte Boas leise. »Mein eigenes Volk errichtete ein Imperium, das Jahrhunderte überdauerte, und wir konnten kaum mehr als das regieren, was uns zuerkannt worden war. Rom hat es nicht geschafft, und Britannien wird ebenso scheitern. Die Mauer ist zu groß, zu mächtig. Sie ist ein zu großes Hindernis in den Köpfen der Welt, selbst wenn sich eine Million bewaffnete Männer mit allen Luftschiffen des Himmels auf sie stürzen würde.«
… und ein Engel in einem Feuerwagen erschien ihm und sprach Worte in einer Stimme, die aus der Macht der Blitze geformt zu sein schien …
Kitchens wählte seine Worte mit Bedacht. »Wir haben keine Angst vor der Mauer, sondern vor den Chinesen. Die Mauer ist ein riesiger, langsamer Sturm aus Stein, der sich zwischen den beiden Erdhälften erstreckt, aber sie ist nur ein Ding. Die Chinesen beabsichtigen, dem Empire das Herz aus dem Leib zu reißen, damit wir uns wie die Wilden vor ihnen beugen müssen.«
Da er einige Chinesen kennengelernt hatte, überdachte Boas diese Aussage kurz. »Sie würden vermutlich dasselbe über ihre englischen Flotten sagen. Sie jagen einander durch die Welt und versuchen, jedes Schiff, ob nun in der Luft oder zu Wasser, in Brand zu stecken. Wer kann hier für sich die Wahrheit beanspruchen?«
Kitchens machte ein leises Geräusch, eine Mischung aus einem Schluchzen und einem Lachen. »Ich weiß es nicht, Herr Messing. Ich weiß nur, welcher Herrscherin ich meine Treue geschworen habe.«
»Wie steht es um Ihre Queen?«
… auf einem Streitwagen zieht sie durch ödes Land, düstere Distanzen überwindend, blutige Spuren ihrer Herrschaft hinterlassend …
Kitchens sah sich um. Boas stand nun am Steuer und schlug den Kurs nach Cotonou ein. Auf dem Poopdeck befanden sich keine Matrosen mehr, nur noch sie beide. »Ich muss Ihnen von etwas Schrecklichem berichten«, sagte der Gesandte der Sonderabteilung. Er schien sich dafür zutiefst zu schämen.
»Wovor haben Sie Angst, Mann?«
»Unsere Queen wird mithilfe einer furchtbaren Mischung aus Wissenschaft und Zauberkraft als Geisel gehalten. Sie lebt in Blenheim Palace, begraben in einem Gefäß, gefüllt mit ihren eigenen Körperflüssigkeiten, und vegetiert in der Dunkelheit dahin, während Menschen so tun, als ob sie sich um sie kümmerten.« Kitchens atmete schwer und unterdrückte einen heiseren Schluchzer. »Sie hat mich gebeten, sie … sie …«
Es war ihm ein Grauen, wurde Boas klar. Etwas, das tief verborgen lag.
In ihm machte sich al-Wazir bemerkbar. Die Stimme des Manns klang nun tiefer und sanfter, ganz als ob Paolina seinen Kopf in dem Augenblick verlassen hätte, als sie bei ihm aufgetaucht war. Doch ein Teil von ihr war immer noch da.
Frag nicht nach, mein Junge.
… und sie werden ihre eigenen Seelen in den Feuern Azeroths wiederfinden …
Was Boas so deutete, dass das Siegel mit al-Wazir einer Meinung war.
»Ich muss nach England zurückkehren«, stellte Kitchens fest, der sich nun wieder unter Kontrolle hatte. »Nicht nur, um Unterstützung für das Tunnelprojekt anzufordern, sondern um an die Seite Ihrer Kaiserlichen Majestät zurückzukehren. Ich habe es meinem Pflichtbegriff erlaubt, die ehrenvolle Wahrheit zu verschleiern.«
Boas betrachtete eine Zeit lang den Horizont. Nach einer ausgiebigen Stille stellte er die nächste und offensichtliche Frage. »Was werden Sie dort tun?«
»Das, worum sie mich gebeten hat.«
Gegen Sonnenaufgang trat die fremde Frau an Boas heran. Er war überrascht, die gesamte Nacht am Steuer verbracht zu haben, ohne sich Sorgen über Paolina zu machen. Es war ein Gefühl des Fortschritts, eine Stabilität, die mit ihrem Wiedersehen einherging, die ihm Frieden gegönnt hatte, während sie sich erholte.
… die Stürme ziehen über das Meer fort, doch die Fluten bleiben stets zurück
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