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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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    Fünfundvierzig Minuten später ließ sie der alte Matrose Levine tief über einem glitzernden, von Lavendelwiesen eingerahmten Bergsee niedergehen. Boas starrte auf den leuchtend violetten Schleier aus Herbstblüten herab, der sich mit graugrünem Blattwerk vermischte.
    Martins hatte mit lautem Schreien die gequält klingenden Motoren übertönt. »Es bringt nichts, einen Landeversuch auszuprobieren.« Stattdessen brachten sie einige Seile über die Reling aus.
    Die meisten der Matrosen, die sie verließen, kletterten die Seile wie Affen hinab und überwanden die etwa fünfzehn Meter bis zum Boden so schnell wie möglich. Sechs von ihnen mussten in Schlingen herabgelassen werden, zusammen mit allen Gegenständen, die man für die Erfüllung der letzten Aufgabe als nicht entscheidend ansah.
    Die Stolen würde sich mit einer Minimalbesatzung wieder auf den Weg machen, und sie würde sich keinen Fehler erlauben dürfen. Was immer ihnen auch noch zustoßen mochte, wäre das Ende – ein Sturm, ein Angriff, Schäden an Bord, von den Briten abgefangen zu werden.
    … das Schicksal brachte sie ans Licht, und sie genossen die Blicke ihrer Feinde …
    Wenn sie in ausreichender Höhe günstige Winde hatten, dann könnten sie Blenheim Palace unbemerkt nach zwei Tagen erreichen. Der gefährlichste Teil ihrer Reise wäre der Anflug auf das Palastgelände.
    Dem Messing kam eine Idee. Sie könnten zumindest versuchen , dieser Gefahr zu begegnen. »Gibt es unter Deck Stoffvorräte?«, fragte Boas Paolina. »Chinesische Seide vielleicht?«
    »Ja, die ist vorhanden. Ebenso wie Musselintücher.«
    »Wie brauchen ein Banner, das wir herablassen können, um während des Anflugs mit den Menschen am Boden zu kommunizieren. Wenn wir Glück haben, dann wird es die Briten zögern lassen, und sie werden uns nicht sofort als chinesische Eindringlinge vom Himmel schießen.«
    »Ah«, sagte sie nachdenklich. »Ich muss nachfragen, wer von den verbliebenen Matrosen mit einer Nadel umgehen kann.«
    … sechs Tage lang nähte die Magd Shulit an der Standarte des Königs, und am siebten erklärte er sie für vollendet und nahm ihren Kuss als Siegel entgegen …
    Bald schon waren sie wieder auf dem Weg. Aus Martins’ sechs Männern waren neun geworden, denn nicht alle wollten in der Wildnis des andalusischen Hochlands von Bord gehen. Boas hielt das Schicksal derjenigen, die an Bord der Stolen blieben, für viel unsicherer als das derjenigen, die das Schiff verließen, aber diese Entscheidung hatte jeder Matrose für sich selbst zu treffen.
    Wang
    Valetta lag vor ihm. Ein kleiner Hafen in einem kleinen Zufluchtsort, der aus einem Sammelsurium offizieller, sandfarbener Gebäude in einem europäischen Baustil bestand – flache Dächer, Kuppeln, Kirchturmspitzen, quadratische Fenster in unglücklichen Schattierungen, die mit leerem Blick auf den Hafen hinausschauten.
    Die Five Lucky Winds war nirgendwo zu sehen.
    »Der Kapitän sagt, dass wir den Hafenmeister hier nicht ansprechen«, teilte Wu ihm mit. »Ich werde Sie an eine Anlegestelle rudern.«
    »Wie werden Sie wissen, wann Sie mich wieder abzuholen haben?«
    »Sie werden dorthin zurückkehren, wo ich Sie absetze. Wir werden Ausschau nach Ihnen halten.«
    Wang konnte sich gut vorstellen, wie effektiv dieser Ausguck sein würde. Die Mannschaft behandelte Wang immer noch so, als ob er praktisch nicht existierte, aber wenigstens waren sie auf ihn nicht mehr so offensichtlich wütend. Sie waren viel zu weit von zu Hause entfernt und machten sich vermutlich Sorgen, wie sie an einem so fremden Ort sicher den Weg hinab in die Hölle finden sollten.
    Dann wunderte er sich, dass er sich überhaupt dafür interessierte. Er war nur wegen Childress hier. Die Vorstellung, nach Chersonesus Aurea zurückzukehren, kam ihm nun merkwürdig vor. Den weiten Rückweg nach China anzutreten erschien ihm fast unvorstellbar.
    Die englische Maske war nun sein Orakel, seine Führung, sein Magnetstein.
    »Ich brauche einen Augenblick«, sagte er zu Shen. Wang ging unter Deck, um die wenigen Besitztümer zusammenzusuchen, die er mittlerweile sein Eigen nannte, und auch das Geld, das ihm Kapitän Shen zugesprochen hatte. All das legte er in einen Stoffbeutel, der früher Zwiebeln und Knoblauch beherbergt hatte. Er zog die weißen Gewänder eines Arabers an, damit er nicht auf den ersten Blick als Asiate erkannt werden würde. Wang würde eindeutig nicht als Europäer durchgehen.
    Er fragte sich, ob er überhaupt zehn

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