Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
sagte Wang zum Maat. »Gedankenfreiheit gehört nicht zu den Dingen, die er bei seinen Bediensteten gerne sieht.«
»Wir sind ihm alle verpflichtet«, antwortete Wu. »Wie die Bauern ihren Feldern haben wir der Fortunate Conjunction die Treue geschworen und damit auch dem Kô.«
»Können Sie denn nicht ein anderes Schiff nehmen, wenn Sie die Lust dazu haben? Eine neue Mannschaft aufstellen?«
Wus Grinsen war schrecklich anzusehen; es schien, dass sich die kummervollen Schicksale zahlreicher Untergebener in seinen blendend weißen Zähnen spiegelten. »Nicht in diesem Leben und auch nicht im nächsten. Eines Tages werden wir mit dem Kô schnurstracks in die Hölle fahren.« Er schob einen seiner hellblauen Ärmel hoch, um Wang ein Zeichen auf der Unterseite seines rechten Unterarms zu zeigen: Qiangjian – das Zeichen für einen Vergewaltiger. »Jeder von uns ist zum Tode verurteilt. Dass ich in diesem Augenblick noch atme, verdanke ich seiner Fürsprache. Ob ich morgen noch atme, ist ganz von seiner Gnade abhängig.«
»Ihr seid alle lebende Tote«, sagte Wang entsetzt.
Der Maat beugte sich mit funkelnden Augen zu ihm vor. »Wir haben Angst davor, dass die, die wir in die nächste Welt geschickt haben, uns die Tore öffnen.«
Wang hielt sich den Rest des Tages am Bug auf, während unter ihm die Fortunate Conjunction durch die Wellen des Andamanischen Meers pflügte. Er machte sich über den fehlenden Mönch Gedanken. Wu war davon überzeugt, dass es sich bei ihr um einen Geist handeln musste, obwohl er sich selbst kaum von ihr unterschied – er lebte zwar noch, aber den Zeitpunkt seines eigenes Todes hatte er bereits überschritten. Das widersprach jeder Ordnung . Der Himmel, das Reich der Mitte, ja, selbst die Hölle hatte ihre Vereinbarungen getroffen, die die jeweils anderen beiden wie Spiegel in einer großen Tempelhalle wiedergaben.
Man konnte durchaus an die Rangordnungen der jeweiligen Welt glauben, ohne übersinnlichen Spuk für alles verantwortlich zu machen. Er hatte mit dem Mönch gesprochen, hatte sie eine Pfeife rauchen sehen, den beißenden Duft der Kräuter eingeatmet, ihr Gewand im Wind flattern hören. Sie war genauso wenig ein Geist wie er selbst. Oder Wu.
Doch Wang hatte mit dem Maat das Schiff auf den Kopf gestellt. Sie hätte nicht unentdeckt bleiben können, außer sie wäre wirklich sehr schnell und verstohlen.
Abgesehen natürlich von der offensichtlichen Antwort. Sie versteckte sich in der Kajüte des Kô. Das war der einzige Ort, an dem sie nicht gesucht hatten.
Wang ging unter Deck, um die Siegel an der Kajütentür zu kontrollieren. Er wusste natürlich genau, wie einfach es war, sie zu fälschen. Fäden waren billig, und mit Wachs und Blei konnte man leicht arbeiten. Ein intelligenter Mann könnte das Siegel von hinten auftrennen, indem er geschickt eine Messerspitze oder ein Rasiermesser zum Einsatz brachte, mit einem schnellen, sauberen Schnitt.
Oder eine intelligente Frau.
Aber wie hatte sie sich selbst eingeschlossen?
Natürlich mithilfe eines Besatzungsmitglieds. Diese schweigsamen, unwirschen Kerle behielten ihre Geheimnisse für sich wie eine Höhle ihre Dunkelheit. Jemand hatte dem Mönch dabei geholfen, sich in die Kajüte zu schleichen oder sie heimlich zu verlassen.
Da er sich allein im Niedergang befand, bückte sich Wang nach unten, um das Siegel genauer zu betrachten – es handelte sich um einen großen Klecks roten Wachses, in den das Bild eines Drachen gestempelt worden war, der sich in seinen Schwanz biss; man hatte es mittels eines Drahts mit dem Lukengriff verbunden.
Er griff mit der Hand dahinter. Eine Schlinge, die an einem Haken hing. Der Draht war an der Siegelrückseite nicht einmal befestigt.
Wu sah zur Leiter hinauf. Die Sonne schien in den kurzen Gang, an dessen Ende sich ein Lagerschrank befand, und vertrieb die Schatten.
Er zog das Siegel ab und öffnete die Tür.
Die schlichte Einrichtung des Raums ließ ihn stutzen. Das Innere der Kabine hatte überhaupt nichts mit den aufwendig gestalteten Quartieren der Verbotenen Stadt zu tun, nicht einmal mit den Räumlichkeiten des Kô in Chersonesus Aurea. Vor ihm stand ein niedriges, flaches Bett aus schwarzem Holz, in dem fest gebundenes Stroh als Matratze diente. Die Wände waren in kaiserlichem Rot bemalt. Ein in Messing eingefasstes Bullauge. Ein Tisch, der zum Bett passte und auf dem sich im Augenblick nichts befand, aber offensichtlich dazu gedacht war, einen Altar aufstellen zu können. Der
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