Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
Dritte Siegel, das ihre Waffen mit Energie versorgte und ihnen erlaubte, neue Speere zu erschaffen. Neue Messing konnten nur erschaffen werden, wenn ein bestehendes Erstes Siegel einem entnommen wurde, der entweder erschlagen worden war oder auf andere Weise seinem Leben entsagt hatte. Mit jedem Jahrhundert gab es weniger von ihnen. Sollten sie jemals die Fähigkeit verlieren, alte Siegel neu geschmiedeten Körpern einzusetzen, dann würde ihr Geschlecht dahinschwinden, bis nur noch gepanzerter Schrott übrig wäre.
Dieses Buch aber sprach davon, ein Siegel zu erschaffen . Die rituellen Reinigungen, die Gebete, die Beschwörung, die Bedeutung einer jeder Drehung, jeder Wende und eines jeden Teilchens innerhalb des Musters. Die Anleitung ging über mehrere Seiten und enthielt Diagramme, Einzelheiten und Materialbedarfslisten. Boas’ Augen flogen mit größter Aufmerksamkeit über die alten, spröden Seiten.
Er hielt in diesem Moment das Wissen in der Hand, um der Macht Ophirs zu neuer Stärke zu verhelfen, indem er neue Messing das Sonnenlicht der Welt erblicken und sie mit strahlender Rüstung aufmarschieren ließe.
Ehrfürchtig legte er das Buch hin und nahm den kleinen Beutel in die Hand. Die Fasern des Stoffs fielen in seiner Hand auseinander, als er ihn zu öffnen versuchte; bald hielt er einen runden, schweren, staubbedeckten Stein in der Hand.
Er drehte ihn um.
Ein Siegel, Recto, das Gegenstück zum leeren, knochenglatten Verso. Boas ließ seine Finger darübergleiten, ohne es wirklich zu berühren. Das Design stimmte irgendwie nicht, wirkte falsch. Sein Instinkt verriet ihm dies, der ihn seit seiner Entstehung begleitete.
Dann verstand er, dass es seitenverkehrt war. Es handelte sich um die Vorlage, den Rohling, aus dem Siegel entstanden. Und was das Design betraf …
Das sechste Siegel.
Das Siegel, mit dem die Worte des Diesseits an das Ohr von JHWH geraten konnten; an den Gott, der Seiner Schöpfung seit Tausenden von Jahren ferngeblieben war; der nur Seine tödlichen Engel und Affenpriester zurückgelassen hatte, die ihm nun als Ersatz für seine schreckliche, grausame Anwesenheit dienten.
Überwältigt ging Boas in die Knie, genau in dem Augenblick, als Chin Yuen das Buch vom Tisch an sich riss. Mit einem sprachlosen Brüllen sprang er wieder auf die Füße. Die Luftmatrosen stoben auseinander, und einige von ihnen schrien vor Angst, als der Messing aus dem Höhleneingang hervorbrach, um das ihm gestohlene Erbe zu verfolgen.
Er stolperte eine Düne hoch. Als Folge seines unermesslichen Zorns floss Blut über seine Arme, um die sich blaue Seidenfetzen gewickelt hatten. Jemand in der Nähe schoss auf ihn, doch wo immer auch die Kugeln landeten, sie zeigten keine Wirkung auf Boas. Seine Augen und seine Aufmerksamkeit waren auf eine einzige Sache gerichtet – den chinesischen Unteroffizier zu verfolgen, der wie ein Pfeil auf sein Ziel zujagte.
Der Mann rannte, als ob der Teufel selbst hinter ihm her wäre. Ein weiterer Luftmatrose stolperte vor ihm. Boas brach ihm in einer fließenden Bewegung das Rückgrat, schlug ihm anschließend den Schädel ein und rannte dem Buch weiter hinterher.
Als er den Grat erreichte, verlor er den Halt und rutschte die andere Seite hinab. Blitze zuckten über den Himmel, und mehrere Luftmatrosen kletterten bereits behände Seile hinauf, die aus dem Himmel herabhingen. Chin Yuen rannte auf das chinesische Luftschiff zu, das dem Erdboden viel zu nah war und bedrohlich schlingerte.
Boas lief schneller, obwohl er wusste, dass er damit unersetzliche Schmiermittel verausgabte. Er versuchte mit aller Gewalt den Dieb zu erwischen, bevor der Mann die Seile erreichen und sich vor ihm über die Seile in Sicherheit bringen konnte – mit seinem Buch. Ophirs Buch.
Weitere Kugeln. Diesmal fühlte Boas ihren Aufprall auf seinem Brustkorb. Er sah hinauf und erkannte unzählige, auf ihn gerichtete Gewehre, die vom Vorderdeck des Luftschiffs auf ihn zielten. Nicht weit vor ihm hatte Chin Yuen die Seile erreicht. Chin Ping stand unter seinem Vorgesetzten und bewachte seinen Aufstieg. Der Übersetzer starrte Boas reuevoll an.
Es tut mir leid , schien er sagen zu wollen. Wir haben das Herz deiner Magie gestohlen. Die Wiederauferstehung deines Volks wird niemals stattfinden.
Boas erreichte Chin Ping und hatte die Faust erhoben, um den Mann zu Brei zu verarbeiten, doch auf dem Gesicht des Übersetzers machte sich Augenblicke zuvor ein sanftes Lächeln breit, das Boas innehalten ließ.
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