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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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entwickeln.
    »Ich kam, weil ich neugierig war«, antwortete der Mönch.
    Der Katalogisierer blieb einfach nur sitzen und keuchte einige Minuten vor sich hin. Er ließ mit gebeugtem Rücken den Kopf zwischen seinen Beinen hängen und versuchte, seinen überangestrengten Lungen Ruhe zu gönnen. Schließlich sah er auf.
    Ihr Rauch hing noch in der Luft, aber der Mönch war verschwunden. Der Hibiskus schwankte ein wenig, vermutlich durch den Wind.
    Wang hatte nicht gehört, wie sich das Tor öffnete. Er drehte sich dennoch um. Kein gähnender Abgrund. Kein einladendes Laternenlicht. Keine Weihrauchwolken.
    Alles unter dem Himmel hat einen Namen, dachte er. Aber wie soll ich diesen Mönch beschreiben, der sich wie morgendlicher Dunst in Nichts auflöst, zugleich aber so felsenfest wie der Grasberg ist?
    Seine geschundenen Beine knickten fast ein, als er sich aufrichtete. Wang entdeckte keinen Glockenzug, keinen Gong, keine wartenden Bediensteten. Er hob die Hand, um an das Tor zu klopfen, doch es schwang lautlos auf, als ob seine Gedanken den Befehl dazu erteilt hätten.
    Ein bleicher Mann, der ein grau gemustertes Gewand trug und die harten Gesichtszüge eines Mongolen aufwies, stand vor ihm. Er sah Wang nachdenklich an. »Sie sind gekommen. Ich würde sie ja willkommen heißen, wenn es keine Lüge wäre.« Er redete mit einem stark nordchinesischen Akzent, als ob er die Sprache von einem Mandschuren gelernt hätte. »Sie dürfen mich Dunkerjew nennen.«
    Der Bibliothekar. »Ich bin Katalogisierer Wang. Ich wurde gerufen.«
    »Natürlich wurden Sie das.« Der bleiche Mann stand ihm immer noch im Weg. »Achten Sie hier auf Ihre lose Zunge, und schließen Sie die Ohren vor allen Worten, die nicht für Sie gedacht sind. Dies ist ein schweigsames Haus, aber kein stilles Haus.«
    Wang verbeugte sich erneut und murmelte höflich die passenden Worte. Dann folgte er dem Mongolen in das Innere, aus der sternenklaren Nacht hinein in moderige Schatten.
    Die Inselfestung des Schweigsamen Ordens war genauso ein Kaninchenbau wie ein Kaiserlicher Palast. Endlose Gänge führten zu weiteren Gängen, Galerien gaben den Blick frei auf Räume voll grunzender, brüllender Mönche oder Kopistentische, die in der Finsternis der Nacht unbesetzt blieben. Einige Zimmer wurden durch flackerndes electrisches Licht erhellt, andere wiesen das weiche, helle Licht von Kerosinlampen auf. Die meisten jedoch lagen im Dunkeln; brachliegende Felder, die den Pflug des lichten Tags erwarteten.
    Nachdem sie durch einen Vorraum gekommen waren, der mit Weidenrüstungen und alten, nutzlosen Schwertern vollgestellt war, erreichten sie einen Saal. Unter ihnen waren drei Galerieebenen zu erkennen. Auf dem Fußboden war eine große, runde Karte der Nördlichen Welt zu sehen, auf der drei Männer in schwarzen Pantoffeln geschickt umherliefen.
    Die Kartengänger stellten kleine Marker auf und schoben dann andere auf neue Positionen, die ihnen Männer vom unteren Rand des unter ihnen liegenden Raums zuriefen oder anzeigten. Eine Menschenmenge umgab die Karte; Männer und Frauen unterschiedlichster Völker.
    Bodenlose Angst befiel Wang. Er hatte schon immer geglaubt, dass sich der Schweigsame Orden außerhalb nationaler Grenzen bewegte, aber sein erklärtes Ziel einer ordentlichen und geregelten Welt hatte immer so chinesisch auf ihn gewirkt. Selbst die kühnsten Träume des Drachenthrons blieben weit hinter dem zurück, was er hier vor sich sah.
    Childress, diese Engländerin, war etwas völlig anderes gewesen – eine Maske der weißen Vögel, hinterhältig und fremd und dem Chaos und Durcheinander verschworen. Aber diese Leute hier … Für sie gab es weder Ehrentitel noch Rang; das ließ sich leicht daran erkennen, wie bedenkenlos sie einfach nebeneinanderstanden. Wie konnte ein jeder von ihnen wissen, wer er war , wo er hingehörte?
    Der Mongole betrachtete ihn aus der Nähe. »Dies ist unsere beste Einschätzung der Weltordnung. Orakel und Differenzmaschinen arbeiten Hand in Hand, um Informationen zu bewerten, die von fünfhundert Spionen, Hafenmeistern und einfachen Menschen zur Verfügung gestellt werden, die unsere Arbeit zu schätzen wissen.
    »Ich bin Bibliothekar im Dienste des Kaiserlichen Hofes«, setzte Wang an.
    »Nein. Sie sind der Mann, der die Goldene Brücke aufgestöbert hat. Sie sind außerdem der Mann, der die gefährlichste Gefederte Maske seit Generationen durch unsere Netze hat schlüpfen lassen.«
    »Was soll ich dann hier tun?«
    Ein lautes

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