Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
Stunde vor.«
Der Herr der Notus wandte sich von der plötzlichen Betriebsamkeit ab und ging zum Poopdeck
hinauf, gefolgt von seinen hinkenden, angeschlagenen Offizieren. Harrow trat an ihre Seite, und die
Erleichterung war dem Bootsmann deutlich anzusehen.
Kitchens bereitete sich innerlich darauf vor, was wohl als Nächstes geschehen würde.
Paolina
Sie stolperten zitternd voran. Staub erhob sich in einer wütenden, stechenden Wolke. Paolina blinzelte den Sand aus den Augen, während Ming leise fluchte.
Er hat nicht geschrien , dachte sie erleichtert und schuldbewusst zugleich.
Um sie herum hatte sich die Welt völlig verändert. Sie hatte vorgehabt, den Termitenpalast zu verlassen, ohne aber genau zu wissen, wohin sie gelangen würden. Es hätte jedes Ziel sein können. Hier war alles grün.
Grün.
Das satte, verrottende, tiefdunkle Grün eines echten tropischen Dschungels. Die Lungen am Bauch der Welt. Unzählige Pflanzen mit breiten Blättern, von denen Wasser in der Stille herabtropfte.
Es erinnerte sie an das Land vor Ottweills Lager. Paolina kam ein fürchterlicher Gedanke: Hatte sie sie in den Norden der Mauer zurückgebracht?
Ein schneller Blick nach oben nützte ihr nichts. Sie waren auf einer von Menschenhand geschaffenen Lichtung; hoch über ihren Köpfen wuchsen weitverzweigte Bäume zu einem Baumkronendach zusammen, durch das die Lichtstrahlen der verborgenen Sonne funkelnd fielen. Sie konnte a Muralha nicht sehen; es war ihr auch nicht möglich, mithilfe des Sonnenstands die Winkel zu berechnen, mit denen sie ihren Breitengrad hätte bestimmen können.
Klebrige Kletterpflanzen, deren Stamm breiter als ihr Oberschenkel war, verbanden die Bäume in alle Himmelsrichtungen. Doch auch die Kletterpflanzen waren nur ein kleiner Teil ihrer wuchernden Umgebung: Sie waren umgeben von zahlreichen Orchideen und ihren bunten, wogenden Blüten, weit verstreuten Bromelien, einem Boden aus grüngelbem Moos und kleinen, opportunistischen Pflanzen, die die Lücken zwischen ihnen auffüllten.
Innerhalb dieser luftig-grünen Kathedrale flatterten unzählige Schmetterlinge umher, als ob sich die Blumen selbst aus ihrem angestammten Platz gelöst und auf die Suche nach Partnern begeben hätten. Sie flatterten als riesige, bunte Bilder, teilweise größer als ihre Hand, in planlosen Kreisen umher, angetrieben von den vagen Vorstellungen ihrer Insektengehirne.
Paolina senkte ihren Blick auf Ming. Er wischte sich den Staub von seiner abgetragenen blauen Kleidung und runzelte die Stirn. Hinter ihm hing ein Spinnennetz zwischen zwei mächtigen Baumstämmen, und in dessen Mitte befand sich eine zierliche Schönheit mit Sanduhrfigur und langen, zitternden Beinen, die Paolinas gesamtes Gesicht hätten umfassen können. Sie wich instinktiv einen halben Schritt zurück und drehte sich um.
Es gab keinen Weg aus dieser Lichtung heraus. Ein alter Windbruch, eine Leere im wuchernden Durcheinander des Lebens, das sich dieses Platzes bemächtigt hatte. Pflanzen mit breiten Blättern und einer Farbe, die den dunkelsten Schatten entsprach, nickten wie im Schlaf und ließen mit jeder Bewegung große Wassertropfen wie Regen auf den Stechginster fallen, der sich um die Füße der beiden Reisenden gelegt hatte.
Dann kehrte der Lärm zurück. Ihre Ankunft an diesem Ort hatte sicherlich einen Schock ausgelöst, aber die Auswirkungen ließen nun langsam nach. Wenn es aufgrund der erneuten Verwendung der Taschenuhr ein Erdbeben gegeben hatte, dann war das nicht hier passiert. Weit über ihnen heulte etwas einmal, zweimal und verschwand dann in großen, krachenden Sprüngen, ohne dass sie es zu Gesicht bekamen. Doch ihre Ohren zeichneten die Bewegung so deutlich nach, als ob ihre Augen es gesehen hätten. Die Geräusche des Waldes wurden mit einem Mal lauter und verschmolzen zu einem ständigen Brummen, das vor ihrem inneren Auge den Blick auf ganz andere Wesen und Einflüsse ermöglichte: Tiere, Insekten, Vögel, Wind, Wasser.
Und dann der Gestank. Verfaultes Wasser, das sich in alten Baumstämmen angesammelt hatte, der widerlich süße Duft der Blumen, der außergewöhnliche Moschusgeruch der Affen, die durch das Blätterdach sprangen, diese seltsame, an Ozon kurz vor einem Sturm erinnernde Schärfe, die immer dann entstand, wenn so unglaublich viele Pflanzen auf engstem Raum wucherten. All diese Düfte vermischten sich zu einem überwältigenden Gesamtbild, einer Geschichte, die genauso packend war wie das, was sie sehen und
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