Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
zu handeln, nicht auch bedeutet, im Namen der Queen zu handeln?«
Am nächsten Tag war die Mauer viel deutlicher zu sehen. Er erkannte Felsvorsprünge und Buchten und Hochebenen; er beobachtete, wie sich das Wetter auf ihrer senkrechten Ebene voranbewegte. Bald schon würde der halbe Himmel von ihr eingenommen sein.
Unter ihnen zogen sich zahlreiche Wasserläufe durch den dichten Dschungel. Das endlose grüne Meer wurde immer wieder durch Vogelschwärme unterbrochen, die zwischen den Baumspitzen hin und her flogen. Die Bucht von Benin, die wie ein Burggraben Westafrika vom Fuß der Mauer trennte, deutete sich im Süden bereits an.
»Luftschiff voraus!«, rief der Ausguck am Bug.
Jeder Matrose, der in diesem Augenblick keine lebensnotwendige Aufgabe erfüllte, rannte zur Reling. Binnen weniger Sekunden hatte Harrow mit einer Strafpredigt begonnen, wie sie auf die Idee kämen, ihre Posten zu verlassen. »Ihr gottverdammten Bastarde, glotzt gefälligst nicht so! Wenn das Schiff ein Feind ist, dann sind wir so gut wie tot. Auf Gefechtsstation, auf Gefechtsstation, hört auf zu glotzen!«
Kitchens begab sich nach vorne. Kapitän Sayeed gesellte sich wenige Augenblicke später zu ihm, zusammen mit zwei anderen Offizieren und dem Artilleriebootsmann.
»Dort«, sagte Grantland, der Artilleriebootsmann. »Fünf Strich steuerbord. Das Schiff ist mehr als tausend Meter über uns.«
Sie blickten alle in die angegebene Richtung nach Südosten, die Augen auf eine Höhe weit über Notus’ aktueller Position gerichtet. Ein kleines Luftschiff, vermutlich ein Kurierschiff der Cumae-Klasse, dachte Kitchens. Er sah an ihm vorbei in Richtung Mauer. »Sie wird von zwei weiteren Luftschiffen verfolgt«, rief er.
»Chinesen«, bestätigte Sayeed. »Kreuzer der Beta-Klasse.«
»Beta-Klasse?«, fragte der Sonderbeauftragte.
»Im direkten Kampf würden wir einen von ihnen besiegen können«, sagte Sayeed. »Aber nicht zwei in Formation kämpfende Luftschiffe.«
Kitchens’ Meinung nach standen die Chancen eindeutig schlecht. Das kleine Luftschiff konnte vermutlich noch höher steigen und schneller fliegen, aber es war nicht gebaut worden, Seite an Seite mit der Notus zu kämpfen. »Was sollen wir also tun?«
»Holen Sie die Signalflaggen aus der roten Truhe«, befahl Sayeed. »Ich gehe ans Steuer.«
Die kleine Gruppe löste sich plötzlich auf, nun, da klare Aufgaben vor ihnen lagen. Nur Harrow blieb für einen Moment zurück und sah Kitchens mit traurigem Blick an. Der Bootsmann schüttelte kurz den Kopf und machte sich dann auf den Weg, um seine Deckdivision zusammenzuschreien.
Die Mauer war so nahe, doch Kitchens musste feststellen, dass er gerade das geringe Maß an Kontrolle, das er vielleicht über die Notus hatte ausüben können, verloren hatte.
Wang
Die Good Change fuhr, eine große britische Flagge führend, die indische Westküste entlang. Wenn Wang es richtig verstanden hatte, wären die Folgen für Schiff und Besatzung verhängnisvoll, sollte die Royal Navy ihren kleinen Betrug aufdecken – sie würden ohne viel Federlesens über die Planke gejagt.
Kapitän Shen hatte das Steuer praktisch nicht verlassen. Wang war sich nicht sicher, wann der Mann schlief. Er hatte einen weißen Mantel und eine weiße Mütze angezogen; sie ließen ihn englischer wirken. Der Rest der Besatzung war so schweigsam und missmutig wie immer und wechselte mit Wang kaum mehr als ein oder zwei Worte. Die einzige Ausnahme war der Maat Wu. Wang hatte den Mönch seit ihrer Rückkehr auf das Schiff nicht mehr gesehen.
Wang schaffte es schließlich, einen Augenblick der Ruhe mit Wu in der Messe zu teilen. An Bord der Good Change war Privatsphäre ein seltenes Gut. Der Maat kochte sich einen Tee und schien von seiner Verantwortung nicht sonderlich überfordert zu werden.
»Ich muss Ihnen einige Fragen stellen«, sagte der Katalogisierer. »Ich hoffe auf einige klare Antworten, denn die Mission, die unsere Herrn mir aufgetragen haben, hängt davon ab.«
»Mein Herr ist der Kô«, sagte Wu, klang dabei aber nicht sonderlich streitlustig. »Wem Sie dienen, ist mir nicht klar.«
»Ich bin dem Drachenthron treu.« Wang wunderte sich, wie schnell er in die Defensive gedrängt worden war. »Genau wie Sie, denn Sie dienen dem Kô, der dem Kaiser dient.«
Wu grunzte und schenkte sich Tee ein.
»Wer ist dieser Mönch?«
Der Maat sah ihn über den Rand seiner Teetasse an. »Welcher Mönch?«
»Die Frau im Ruderboot. Die mich in die Festung des
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