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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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waren mir schon lange klar. Ich musste mir nur noch klar werden, wie die nächsten Schritte auszusehen hatten. Und dabei haben Sie mir geholfen.«
    Leung verbeugte sich. »Wie Sie wünschen. Sie werden mich an Land begleiten, wenn wir Tainan erreichen.«

Elf
    Paolina
    »Bringen Sie mich nach Straßburg?«, fragte Paolina Kapitän Sayeed am nächsten Tag, als sie ihn bei einem Spaziergang an Deck der Notus traf.
    »Dies ist kein Passagierschiff, junge Frau«, antwortete der Kapitän, doch er lächelte dabei. »Warum sollte ich so etwas tun?«
    »Weil Sie wollen, dass ich dorthin gehe.« Paolina stellte dies einfach fest, ohne fordernd zu klingen. Diesen Mann konnte sie weder bestürmen noch drängen. Sie konnte ihn lediglich höflich bitten und versuchen, mit all der Logik überzeugen, die ihr zur Verfügung stand. »Andernfalls hätten Sie mir nicht von der Schwilgué-Uhr erzählt, denke ich.«
    »Ihr Vertrauen berührt mich zutiefst. Gehen Sie ein bisschen mit mir.«
    Die beiden stiegen die kleine Treppe zum Poopdeck hinauf und wandten sich dann zur Heckreling.
    An diesem Morgen lag ein ausgedörrtes Afrika unter ihnen. Die Dschungel, die sie noch vor ein oder zwei Tagen überflogen hatten, waren von gnadenlosem Sonnenlicht ersetzt worden, das die Ebenen flimmern ließ. Nur der Schatten des Tragkörpers und der ständige Fahrtwind verhinderten, dass das Deck sich in einen Backofen verwandelte.
    »Die Mauer ist schon lange am Horizont verschwunden«, sagte Sayeed. »Aber ich gehe davon aus, dass Sie häufig an sie denken.«
    »Nein, Sir.« Sie blickte in den strahlend blauen, von nur wenigen Wolken durchsetzten Himmel gen Süden. » A Muralha , die Mauer, ist das Zentrum und der Kreis der Erde, sie teilt die Welt in nördliche und südliche Hälften und definiert unsere gesamte Existenz. Ohne die Mauer würde die Welt sich aus ihrem Weg um die Sonne lösen. Wir würden entweder in den Flammen des Tageslichts verbrennen oder in den kristallinen Wäldern der Nacht erfrieren.«
    »Wohl wahr. Jetzt bedenken Sie Folgendes: Die Mauer gehört zu den größten Errungenschaften göttlicher Magie. An ihr vermag die Luft bis in höchste Höhen zu gelangen, die sonst viel zu dünn und schwach ist, sodass man sie schon fast als Vakuum bezeichnen könnte. Sie tut genau das, was Sie gesagt haben – sie fixiert unsere Welt, sie definiert unsere Welt. Und zugleich ist die Mauer nichts anderes als der Rahmen für ein riesiges Zahnrad, das uns mit den höheren Ebenen der Schöpfung verbindet. Sie, mein liebes Mädchen, tragen ein Uhrwerk in Ihrer Tasche, das ein Echo dieser gewaltigen, göttlichen Magie ist. Sie können Geister aus den Rädern des Lebens beschwören.«
    Paolina lächelte. »Ob sie meinem Ruf folgen, ist eine völlig andere Geschichte.«
    Sayeed räusperte sich. Es war eindeutig, dass er etwas zu sagen versuchte, das ihm schwerfiel. Sie blieb ruhig stehen und fragte sich, was diesen Mann derartig emotional bewegen konnte.
    Schließlich brach er das Schweigen. »Es gibt … Denkrichtungen … unter den verschiedenen Glaubensgemeinschaften und den Wissenschaftlern im Britischen Empire.« Sayeed starrte Richtung Süden und wich ihrem Blick aus. »Ich muss gestehen, dass mein Herz für eine Denkrichtung schlägt, die als Rationalhumanismus bezeichnet wird. Ein sehr weiser Mann namens William of Ghent hat vor vielen Jahren wegweisende Schriften veröffentlicht. Er glaubte, dass die Welt nicht weiterexistieren könnte ohne eine bewusste Einmischung. Sie ist zu geordnet, zu beständig, als dass sie ein abwesender Gott hätte in Bewegung versetzen können, nur um sie dann wie einen Ball einen Hügel hinunterhüpfen zu lassen.«
    »Das ist eine Möglichkeit, wie man die Schöpfung interpretieren kann«, sagte Paolina vorsichtig.
    »Gewiss. Es gibt andere, die Spiritualisten, die selbst im kleinsten Detail Gottes Einmischung zu erkennen versuchen. Ein arges Wunschdenken von Kindern, die nach der Sicherheit streben, die nur ein allmächtiger Vater zu geben vermag.« Er schnaubte. »Ich habe nicht den geringsten Hinweis auf Gott in unserer Welt entdecken können. Wie auch immer die Schöpfung vonstattengegangen ist, Er hat sich seitdem mit anderen Dingen zu beschäftigen gewusst.«
    »Gewiss.« Sie stellte sich die Frage, worauf er hinauswollte.
    »Die Schwilgué-Uhr … in Straßburg. Sie wurde von Männern erschaffen, die die Welt so präzise wie möglich vermessen und aufgliedern wollten. Sie suchten nach den Spuren der

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