Die Räder des Lebens
Hafen war eine Lagune, die man nur an Sandbänken vorbei durch einen Kanal erreichte. Die Beiyang Navy nahm den größten Teil des Hafenviertels ein.
Sendai sah im Vergleich zur hektischen Betriebsamkeit Tainans wie eine Ansammlung ärmlicher Hütten aus. Das hier glich Boston, dachte Childress. Das galt sogar für die Ankermasten, wenn sie auch die Schiffe, die dort schwebten, nicht kannte.
Viel beeindruckender war eine Reihe sehr großer Gebäude, deren Aufgabe es offensichtlich war, Luftschiffe aufzunehmen. Da sie niemals den Boden berührten, soweit sie wusste, musste es sich um Konstruktionshallen handeln.
Sie erblickte zwei weitere Unterseeboote im Hafen, neben denen verschiedene größere und schwer gepanzerte Schiffe lagen. Große Geschütztürme drehten sich auf ihren Decks. Die langen Rohre dieser Waffen wirkten auf seltsame Weise anmutig.
Auf allen Schiffen und am Ufer waren Flaggen gehisst. Es wimmelte an den Anlegestellen nur so von Menschen, aber dabei handelte es sich nicht um ein Empfangskomitee, sondern einfach um den Nebeneffekt einer extrem hohen Bevölkerungsdichte. Sie wusste, dass sie sich so etwas niemals hätte vorstellen können, wenn sie es jetzt nicht mit eigenen Augen sähe.
Kapitän Leung umfasste mit einer weit ausholenden Geste das beachtliche Hafenviertel. »Das ist der Heimathafen der Beiyang Navy. Wir wurden vor zehn Jahren von Weihai hierher transferiert, haben uns aber hier eine noch stärkere Position erarbeitet.«
Sie war schockiert. »Der Kaiser verbannt seine eigene Marine?«
»China hat viele Flotten«, sagte Leung. »Die Beiyang Navy ist die modernste und die stolzeste. Wir wenden unsere Gesichter den blauen Meeren der weiten Welt zu anstatt den braunen Gewässern der Heimat.«
»Die Heimat ist … angesehener.« Sie hatten bereits darüber diskutiert. Ihr war nicht klar gewesen, wie wortwörtlich er seine Aussagen über die Machtstrukturen in China meinte. Die Vorstellung, dass eine unabhängige Nation miteinander wetteifernde Streitkräfte besaß, die sich gegenseitig Gelder und Unterstützung wegnahmen, schien ihr fremd, bis sie über die Regimentsstruktur nachdachte, die bis heute das Rückgrat der englischen Armee bildete.
Aber dabei ging es um Männer und Flaggen, nicht diese teuren, furchtbaren Schiffe.
Leung sprach sie wieder an. »Einige Schlachten werden immer noch von kleinen Holzschiffen gefochten, die an den Inseln der Andamanensee und anderen ruhigen Orten vorbeikommen. Doch diese alte Welt ist praktisch verloren, weil die englische Expansion und der ständige Fortschritt sie vertrieben haben. Ein dreister Mann könnte meinen, dass der Kaiserliche Hof sich herzlich wenig für England interessiert und schon gar nicht für den Fortschritt. Ich werde mir allerdings solch unpassende Bemerkungen sparen.«
»Gewiss«, murmelte Childress und verbarg ihr Lächeln.
Dann fuhr die Five Lucky Winds entsprechend den Flaggensignalen an ihren Ankerplatz, wobei eine Menge gebrüllt, gepfiffen und diverse Seile hin- und hergeworfen wurden.
Es lag ein Geruch in der Luft, dem sie noch nie zuvor begegnet war – Körper und Pferde und eingeöltes Metall sowie Rauch und der salzige Duft der chinesischen Küche verbanden sich zu einem Erlebnis, das auch gut und gern auf zwei Beinen umherwandern und Leuten Backpfeifen verteilen konnte. Obwohl das Hafenviertel von Menschen nur so wimmelte, war ihr Anlegeplatz ziemlich leer. Eine Einheit in blauen Uniformen stand bereit, hinter der sich eine kleine Gruppe von Menschen jeden Alters und beiderlei Geschlechts drängelte, die alle weite schwarze Kleidung trugen.
»Unsere Eskorte«, sagte Leung, »und die Stewards und Diener unserer Matrosen.«
»Ihre Matrosen haben Stewards?« Irgendwie hatte sie das nicht erwartet.
»Ja. Selbst der unbedeutendste Matrose der Eisenbambus-Flotte wird hier in Tainan hoch geschätzt. Da sie ihre Heuer nicht ausgeben können, wird sie auf einer Bank angelegt. Ein oder zwei Diener können sie von dort abheben, um den Haushalt zu führen und für ihre Frauen und Kinder zu sorgen.«
»Ich kann mir einen einfachen Mariner zuhause nicht mit einem Diener vorstellen.«
»Dann mache ich mir Sorgen um Ihre Matrosen, Madam.« Er verbeugte sich. »Bitte warten Sie hier im Turm. Ich muss die notwendigen Formalitäten erledigen.«
Leung kletterte die Leiter hinunter aufs Deck und ließ den größeren Teil der Besatzung wegtreten. Ein paar Pechvögel blieben zurück, um das Schiff zu sichern. Als Childress
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