Die Räder des Lebens
wütend aus zusammengekniffenen Augen an, eindeutig um sie einzuschüchtern.
Von innen rief jemand etwas Unverständliches. Der Bootsmann öffnete die Tür und trat einen Schritt zurück. Sein wütender, verbitterter Gesichtsausdruck hatte sich kein bisschen geändert.
Sie war sich nicht sicher gewesen, was sie von Admiral Shangs Büro zu erwarten hatte. An Bord der Five Lucky Winds hatte es nicht den geringsten Hinweis auf Wohlstand gegeben. Das Unterseeboot war eine Maschine, die den Zwecken einer Maschine folgend konstruiert worden war und in der die Menschen der Maschine nur dienten. An Land hatten die Menschen aber den Hang dazu, sich ihren eigenen Interessen zu widmen, wenn es um Macht und Reichtum ging. Es interessierte nicht, welche Eide sie geschworen hatten oder welche Offizierspatente sie besaßen.
Abgesehen von der Größe war das Büro vollkommen normal. Den polierten Holzboden konnte man in der Hälfte der Häuser New Havens finden. Quadratische Schiebefenster sahen auf die Kräne und Anlegestellen im Hafen Tainans hinaus, deren Krach und Betriebsamkeit und Hitze durch die hochgezogenen Fenster hereinschallte. Ein großer Schreibtisch stand vor ihr, der in einem ihr unbekannten Stil verziert und geschnitzt worden war, aber dennoch unmissverständlich den Schlupfwinkel eines Bürokraten erahnen ließ. Er hätte genauso gut in das Büro des Dekans in Yale gepasst.
Es gab natürlich Stilunterschiede. Anstelle von Schiffsgemälden oder Porträts toter Männer hingen an den Wänden lange schmale Bilder, die auf Seide aufgezogen und oben und unten beschwert worden waren, um sie glatt zu halten. Der Raum roch nach Ölen, die ihr nicht vertraut waren, und Weihrauch, den sie während der Zeit auf der Five Lucky Winds nie bemerkt hatte. Auf Beistelltischen standen ungewöhnlich geformte Teeservices und Weingläser.
Das einzig Merkwürdige an dem Raum war das Fehlen von Stühlen, auf denen die Gäste Ruhe finden könnten. Admiral Shang hielt es offensichtlich für angebracht, Besprechungen stehend abzuhalten. Auf jeden Fall stand er gerade vor ihnen.
Sie hatte keine Erfahrungen, wie die asiatische Oberschicht hinsichtlich Gesichtsausdrücken und besondere Kleidungsstile der Mächtigen zu beurteilen war, aber Shang war selbst für ihre fremdländischen Augen ein außergewöhnlicher Anblick.
Zunächst einmal war er größer als jeder Chinese, den sie bis jetzt kennengelernt hatte. Seine Größe war aber erst der Anfang. Shangs Haare sahen wie Stroh aus, er trug sie lang, und sein Gesicht war weiß wie Schnee. Seine Gesichtszüge waren eindeutig asiatisch, aber er schien ein Albino zu sein, wie diese weißen Kaninchen mit ihren rosafarbenen Augen, die eins der Mädchen in der Nachbarschaft in New Haven für den Kochtopf gezüchtet hatte.
Sie war auch nicht in der Lage, Shangs Kleidung einzuschätzen, aber der weiße Brokatumhang wirkte unpassend. Auf den Kais hatten nur sehr wenige Leute weiße Kleidung getragen. Der Anblick hatte etwas von der Förmlichkeit eines Bischofsrochetts, und das war nicht nur der ungewöhnlichen Farbe geschuldet. Der helle Stoff betonte seine bleiche Hautfarbe noch.
Natürlich , dachte sie, warum sollte er das verleugnen? Shang hatte das akzeptiert, was ihn aus der Masse hervorhob. Es ließ sich ohnehin nicht verbergen.
Aus diesen zusammengekniffenen Augen funkelte ihr ein wacher Geist entgegen. Er schien so misstrauisch zu sein wie der Bootsmann. Er ratterte mehrere chinesische Sätze herunter, in denen ihr bekannte Worte vorkamen – ›Schiff‹, ›Reise‹, ›Atlantik‹? –, auf die Leung ausführlich antwortete.
Der Kapitän schien den Admiral nicht beschwichtigen zu wollen, aber er klang auch nicht streitlustig. Ihr Gespräch war ein lebhafter Austausch von Argumenten und dauerte mehrere Minuten lang. Shangs Blicks ruhte die ganze Zeit auf Childress.
Nachdem dem Informationsaustausch Genüge getan war, verbeugte sich Shang tief. »Ma-sue-ka Shi-Dess, willkommen.«
Die seltsamen Silben verwirrten sie für einen Augenblick, bis sie ihren Namen erkannte. »Xièxie, Admiral«, antwortete sie ihm auf Chinesisch.
Leung nahm Haltung an – gerader Rücken, Brust raus. »Der Admiral entbietet seinen Gruß. Er heißt Sie in Tainan willkommen und gewährt Ihnen die Gastfreundschaft der Beiyang Navy.«
Sie wusste, wie sie im Kriegsfall die geheime Bedeutung solcher Höflichkeiten zu entschlüsseln hatte. Selbst über die Sprachbarriere hinweg war der Auftakt zum Tanz mehr als
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