Die Räder des Lebens
waren in farbigen Nebel gehüllt. Alles um ihm herum schimmerte.
Von Boas oder den Schmieden war nichts zu sehen.
Al-Wazir kehrte in die Hütte zurück, ließ die Schönheit hinter sich und machte sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Es gab nicht viel – einen Sack getrockneter Bohnen, eine Schüssel mit Flechten, von denen er nicht wusste, ob sie als Essen gedacht waren, und eine Schnur mit getrocknetem Salzfisch. Er schmeckte fürchterlich, aber das traf auf die meisten Sachen zu, die er zur See gegessen hatte. Diese Stadt war praktisch ein riesiges Schiff, festgezurrt an der Oberfläche der Mauer.
Al-Wazir widerstrebte es, die Nebenwege dieses Orts einfach zu erkunden. Es gab einfach zu viel hier, das er nicht verstand, und er fürchtete, unwiederbringlich verloren zu gehen. Also lungerte er eine Zeit lang herum, denn er ging davon aus, dass die Schmiede irgendwann in ihr
Bienenkorbhüttenzuhause zurückkehren würden, mit oder ohne Boas. Die Regenbögen verschwanden, als Wolken die Sonne verdeckten. Als der Wind die Richtung wechselte und die Wolken im Norden wieder vertrieb, hatte er einen wunderbaren Blick auf die Welt unter ihm.
Niemand kam. Er blieb allein, sah auf die Falken und Kraniche in der Luft weit unter ihnen hinab und machte sich Sorgen, was mit Boas geschehen war.
Childress
Sie legten für kurze Zeit auf den Paracel-Inseln an. Dabei handelte es sich um eine Reihe flacher, mit Buschwerk bewachsener Sandbänke und einige Korallenriffe mitten im Südchinesischen Meer. Es gab einen kleinen Stützpunkt, sogar einen Ankermast für Luftschiffe, aber es waren nur wenige altgediente Segelschiffe vor Ort, die von einer Gruppe gelangweilter und ebenso altgedienter Seeleute bedient wurden.
Zum ersten Mal in ihrem Leben erblickte Childress die Mauer. Sie war im Moment nicht mehr als eine schwarze Linie am Horizont, aber sie war deutlich zu erkennen, als Erhöhung, die den südlichen Meeresrand jenseits der Insel abschnitt. Die Mauer war in gewisser Hinsicht alles – sie war die Verankerung des irdischen Zahnkranzes und der eindeutige Beweis, dass die Schöpfung nach einem himmlischen Plan erfolgt war. Die Mauer markierte den Rand der Welt und den Anfang des Himmels. Sie starrte sie eine Zeit lang an und versuchte, jedes Detail so genau wie möglich zu erkennen. Doch es waren noch über 1 500 Kilometer Richtung Süden zurückzulegen, ehe sie sie erreichten, und daher blieb sie für den Augenblick nur ein Strich am Horizont – ein drohender, steinerner Sturm, der sich niemals in Regen verwandelte.
Childress löste sich aus dem faszinierenden Griff der Mauer und sah vom Turm des Unterseeboots aus zu, wie Leung, nur von Feng begleitet, an Land ging. Der Kapitän zwang den Politoffizier zu rudern. Am kurzen, unebenen Strand unterhielt sich Leung mit einem buckligen Matrosen und ging dann zu einer Ansammlung kleiner Gebäude hinüber. Feng wurde in eine andere Richtung geführt, vermutlich zu einer Beratung.
Die beiden Matrosen, die sie bewachten, redeten leise miteinander. Sie versuchte, ihrem Gespräch zu folgen, in dem es darum ging, was für einen schlechten Posten sie erhalten hatten, den sie als das Dreckloch der Beiyang Navy bezeichneten. Ein englischer Seemann hätte vermutlich andere blumige Umschreibungen dafür gefunden. Sie machten sich über das Essen lustig und dass es viel zu wenig Frauen gab, bis einer von ihnen, ein Junge namens Pao, bemerkte, dass sie ihnen zuhörte.
Danach standen sie peinlich berührt da, bis Leung aus einem der Gebäude herauskam und zu seinem Boot stapfte. Er ruderte es eigenhändig zurück.
Sie kletterte den Turm hinunter und wartete an der Luke auf ihn. Das schien niemanden mehr zu stören. »Was hast du herausgefunden?«, fragte Childress und überging Fengs Abwesenheit.
»Dass es hier nichts für einen Mann gibt.«
»Ich meine nicht die Inseln«, sagte sie. »Ich meine dein Gespräch mit Admiral Shang.«
Er sah sie überrascht an.
»Warum solltest du sonst einen Zwischenstopp einlegen, außer um Verbindung mit ihm aufzunehmen? Dieser Luftschiffankermast bietet sich hervorragend für kabellose Übertragungen an, wenn die Beiyang Navy denn darüber verfügt. Und wenn nicht, dann könnte ich mir vorstellen, dass hier ein Telegrafenkabel liegt. Es gibt zwischen London und Boston auf jeden Fall welche.« Und damit auch die Möglichkeit für Feng, Verbindung mit seinen Vorgesetzten aufzunehmen, dachte sie, sprach es aber nicht aus.
Leung schüttelte den Kopf.
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