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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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es nicht erlauben.«
    In der Dunkelheit vor und über ihm erkannte er einen hellen Fleck, der sich als Auge von der Größe seines Brustkorbs herausstellte. Er wurde genau betrachtet und das in völliger Stille.
    Al-Wazir erwiderte den Blick, ohne etwas erkennen zu können, und tat so, als ob er keine Angst hätte.
    »Dieser Speer ist leer«, sagte die Stimme. »Das war etwas, was meine Diener nicht verstanden.«
    »Das wisst Ihr nicht«, sagte al-Wazir. »Das glaubt Ihr nur.« Dies hier war wie das Gespräch mit einem großen, brutalen Rekruten, der gerade erst verpflichtet worden war und glaubte, er müsse von einem Mann, den er mit bloßen Fäusten zusammenschlagen konnte, keine Befehle entgegennehmen. Es ging nicht darum, die Gewalt zu erwidern, denn man konnte nicht alle Neuankömmlinge zusammenschlagen. Es ging darum, über die Gewalt hinauszudenken. Wenn es dann noch notwendig war, nahm man zwei oder drei Freunde mit, schnappte sich den eingebildeten Bastard und prügelte ihn windelweich. »Wenn Ihr über einen Rüstungsschmied verfügt, der die Erfahrung und die Werkzeuge besitzt, um ihm zu helfen, so schickt uns zu ihm. Wenn nicht, so werden wir unsere Reise Richtung Osten fortsetzen.«
    Ein weiteres langsames, die Glaswände biegendes Lachen. »In das Haus der Sonne?«
    »In das Haus unserer Wünsche. Wir folgen keinem anderen Herzen als dem unseren.«
    »Ihr gehört nicht zur Mauer. Warum krabbelt Ihr darauf herum wie ein Insekt auf einer Spiegeloberfläche?«
    »Warum hängt Ihr in einem Wasserbehältnis mitten in einem Wasserfall, der Euch eigentlich die Abhänge hinunter heim ins Meer tragen sollte?«
    Ein weiteres Klatschen, gefolgt von einem langen Stöhnen. »Bring ihn fort. Sag dem Peltasten, er soll sich an die Schmiede auf der Furcheninsel wenden.«
    »Und dann dürfen wir gehen.« Er ließ es wie eine Aussage klingen, nicht wie eine Frage, und täuschte dabei ein Selbstbewusstsein vor, dass er nicht verspürte.
    »Und dann werdet ihr mich ein zweites Mal aufsuchen.«
    Al-Wazir verbeugte sich. Dann zupfte er an Boas, damit ihm der Messingmann nach draußen folgte.
    Die Furcheninsel war zwei Stationen mit der Seilbahn und mehrere Brückenüberquerungen von der Kathedrale entfernt. Der Peltast, der auf ihrem Weg kein einziges Wort gesagt hatte, ließ sie dort mit einem Nicken zurück. Drei verschlafene Männer in Leinenroben kamen aus einer Bienenkorbhütte hervor, die von Schimmel und Schlamm überzogen war. Einer trug eine Fackel, die im tosenden Wind des Wasserfalls hin- und herzuckte.
    »Seid ihr die Schmiede?«, fragte al-Wazir.
    Der Mann mit der Fackel starrte ihn gleichgültig an, während die anderen beiden sich Boas näherten. Sie umkreisten ihn und ließen ihre Finger über die beschädigten Verzierungen seines Brustharnischs gleiten, über seine Fingerspitzen und sein Gesicht.
    Al-Wazir wusste nicht, was er sagen sollte. Er war hier, damit diese Männer Boas halfen. Er konnte wohl kaum etwas dagegen haben, dass sie ihn untersuchten, auch wenn ihre Methoden seltsam wirkten.
    Stattdessen entschied er sich dafür, die drei Schmiede genauer zu betrachten. Sie schienen aus derselben Familie wie der Peltast und seine Männer zu stammen. Keine Zwillinge, aber sie hätten allesamt Brüder sein können. Kurz geraten, krummbeinig, recht schweigsam; aber der Peltast hatte anscheinend verstanden, was al-Wazir ihm eben in der Kathedrale gesagt hatte.
    Ihr Schweigen war seltsam, genauso wie der fehlende Widerspruch, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden. Er hatte noch nie einen Spezialisten kennengelernt, der sein warmes Bett verließ, nur um einem Bedürftigen zu helfen. Und dennoch standen sie hier, die Nachthemden nass von der Gischt, und arbeiteten im Fackellicht ihres Kameraden.
    Schließlich betrat er die Hütte und legte sich auf eine Pritsche. Es ergab wenig Sinn, einen Vorgang zu beaufsichtigen, den er ohnehin nicht verstand, und ob er ihnen vertraute oder nicht, spielte schon lange keine Rolle mehr.
    Der Morgen brachte schillernde Regenbögen mit sich, denn der Sonnenaufgang brach sich im Sprühnebel vor der Tür. Prismatische Lichter tanzten auf al-Wazirs Gesicht, als er aufwachte. Er trat hinaus auf den Felsvorsprung und wurde in brillante Farben gehüllt.
    Der Tag empfing ihn mit einer Schönheit, die sich stark vom funkelnden Glühen der gestrigen Nacht unterschied. Die willkürlich zusammengewürfelten Gebäude sprangen ihm noch deutlicher ins Auge; ihre seltsamen Formen

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