Die Räder des Lebens
Stadt auf. Das Wasser schäumte und toste und stürzte an ihm vorbei wie ein Meer, das in Bewegung geraten war. Zwischen den größeren Gebäuden und wichtigsten Inseln spannten sich schwere Trossen, die zuweilen an großen Türmen festgemacht waren, um den Mittelpunkt ihrer Spannweite möglichst hoch anzusetzen. Die Metallseilbahnen machten sich nur unregelmäßig auf ihren Weg. Nach einiger Zeit wurde ihm klar, dass es sich nicht um eine Dienstleistung wie die Omnibusse englischer Städte handelte, sondern um eine Transportmöglichkeit, die sich nur auf Wunsch in Bewegung setzte. Die Menschen gingen über Brücke, stiegen Treppen und Leitern hinauf und flanierten auf Balkonen. Nur die wenigsten trugen die Messingrüstungen, die er noch am Tag zuvor gesehen hatte. Das hier war keine Soldatenstadt.
Niemand kam zu seinem Felsvorsprung. Niemand trug Boas an ihm vorbei. Es blieb nicht einmal jemand stehen, um ihn anzuschauen.
Er fragte sich auch, was er da gestern Nacht im Wasser gesehen hatte. Es war riesig gewesen, mit gigantischen, blassen Augen – ein Ding, das in der Dunkelheit leben wollte.
Am Nachmittag wurde al-Wazir klar, dass er nicht weiter untätig bleiben konnte. Er und Boas mussten in Richtung Osten weiterreisen. Er betrat die Brücke, über die sie in der letzten Nacht gegangen waren. Die Bodenbretter waren rutschig und die Halteseile mit Moos überwuchert, aber es war nicht viel schlimmer, als sich mit der Takelage eines Luftschiffs bei schlechtem Wetter auseinanderzusetzen.
Es war aber dennoch etwas anderes, auf der steinernen Oberfläche der Mauer herumzukriechen.
Als er die Brücke zur Hälfte überquert hatte, drehte er sich um und wandte sich zur Bienenkorbhütte zurück. Fast direkt unterhalb des kleinen Gebäudes war ein Höhleneingang zu erkennen, in dem etwas aufblitzte.
»Der Teufel soll mich holen«, rief er. »Und euch alle auch.« Al-Wazir wurde klar, dass er den ganzen Morgen über Boas’ Kopf herumspaziert war.
Er ging vorsichtig zurück und suchte auf der Felsoberfläche nach einem Weg hinunter oder einer Leiter. Von hier aus war die Öffnung nicht schwer zu erkennen, denn hinter einem Felsbrocken, an dem er bei seinen morgendlichen Rundgängen ein Dutzend Mal vorbeigekommen war, ging es nach unten.
Als er die Brücke verließ und damit sicheren Boden betrat, kletterte er hinter dem Felsbrocken hinab.
Die Höhle war tatsächlich eine Schmiede. Sie enthielt zwei Essen, Blasebälge, Werkzeugregale, Ambosse, Werkbänke, Roheisen, Kupfer, Messing und Bronze – alles, was jemand mit den richtigen Kenntnissen benötigte.
Boas lag auf einer der Bänke und war auseinandergenommen worden, wie ein Motor bei der Reparatur. Arme und Beine fehlten ihm. Sein Brustkorb stand offen. Zwei der Schmiede arbeiteten auf einem der nächsten Tische an einem Bein. Der Dritte untersuchte Kleinteile durch eine Linse, die in einem Gestell befestigt war.
Niemand warf al-Wazir auch nur einen Blick zu, als er ihr Königreich betrat. Er näherte sich Boas und war hin- und hergerissen zwischen Sorge und Angst.
Die offene Brust entblößte keinen Hohlraum, wie er es sich fast vorgestellt hatte, sondern eng miteinander verflochtene Uhrwerkelemente – Zahnräder, Antriebsräder, Hemmungen. Die Mechanismen lenkten den Blick auf ein Messinggewebe, dessen Komplexität und Kompaktheit mit der einer jeden Maschine mithalten konnten. Es war ein Sammelsurium an Einzelteilen, das auf obszöne Weise faszinierte, wie es auch beim geöffneten Brustkorb eines echten Menschen der Fall gewesen wäre. Al-Wazir hatte genug Tote gesehen, um zu wissen, wie Leber und Lunge aussehen, wenn sie aus einem Menschen hervorquollen. Er empfand dasselbe merkwürdige Gefühl von Faszination, nur ohne Blut.
Er streckte seine Hand aus, um ein großes Antriebsrad mit Arretierungen in seinem Gesicht zu berühren.
Boas öffnete plötzlich seine Augen.
Al-Wazir ließ überrascht seine Hand zurückzucken. Er war mehr als peinlich berührt. Er erahnte mehr als er es hörte, wie der Messing zu sprechen versuchte, doch obwohl ein leichtes Zischen folgte und sein Kopf zuckte und klickte, konnte er ihn nicht verstehen.
»Nein«, sagte al-Wazir. »Halt dich ruhig. Sie werden dich reparieren.«
Er betrachtete erneut den Hohlraum und fragte sich, wo das Siegel wohl war. In Boas’ Kopf? In der entblößten Brust? Es schien nicht, dass sich sein Zauber verflüchtigt hatte. Ansonsten wäre Boas jetzt bereits nur noch schweigendes Metall und nicht
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