Die Räder des Lebens

hinein und streichelte sie. Das gehörte ihr, das Gerät, mit dem sie die Welt bestimmen konnte. Bevor sie das Ende ihres Lebens erreichte, würde sie die gesamte Schöpfung vermessen haben, das schwor sie feierlich. Kein Mann würde je wieder über sie bestimmen.
    Al-Wazir
    Er verbrachte die nächsten Tage in der Admiralität damit, dass Mr Kitchens ihn von Konferenz zu Konferenz leitete. Es war furchtbar, nahezu unerträglich langweilig und erinnerte den Bootsmann daran, warum er nie auch nur das geringste Interesse an einer Karriere als Offizier gehabt hatte. Es war viel besser, auf dem Deck zu arbeiten, wo der Tagesbefehl die an diesem Tag zu erledigende Arbeit umfasste und jemand anders sich die über die Politik des Empire und das Seerecht Gedanken machte.
    Aber immerhin behandelten Kitchens und seine schweigsamen Kollegen al-Wazir wie eine Art feinen Pinkel. Einen Pinkel in einem samtenen Gefängnis, der deutlich darauf hingewiesen wurde, nicht draußen rauchen zu gehen oder sich ein guten Schluck des frisch gebrannten Rums zu gönnen, den er ohne jeden Zweifel nur wenige Straßen entfernt bekommen konnte. Die Räume rochen immer nach Ölseife, gestärktem Leinen und etwas Saurem, mit dem sie sich die Ameisen vom Hals und den Geruch von Pisse aus der Nase hielten. Miserable Rohrleitungen waren nun einmal typisch für England.
    Und so fand er sich in einem kleinen Raum wieder, um sich von einem alten Kerl der Royal Society, der vermutlich in seinem ganzen Leben noch nie einen Krauskopf gesehen hatte, einen Vortrag über die direkt unter der Mauer lebenden Stämme an der gabunischen Küste anzuhören. Dann wurde er zu einem anderen kleinen Raum geführt, wo drei Gentlemen aus Greenwich ausführlich über Luftmassen und Luftströmungen an der Mauer dozierten. Mit diesem Thema kannte sich al-Wazir bestens aus, denn er war Reeperbootsmann auf der Bassett gewesen, die diese Luftwege beflogen hatte. Ähnlich wie bei dem Anthrophagisten – zumindest glaubte al-Wazir, dass der alte Kerl diesen Titel für sich beansprucht hatte – hatten auch diese Klimatologen, oder wie immer sie sich auch nannten, überhaupt keinen praktischen Bezug zu ihrem Forschungsgegenstand.
    Als er einen weiteren, mit Teppich belegten Flur mit Kitchens an seiner Seite entlangschritt und an Gemälden vorbeikam, deren Thema Schiffe in sturmgepeitschter See waren, legte er die Hand auf den Arm seines Begleiters und bat ihn stehen zu bleiben. »Es ist so, als ob blinde Männer über den Sonnenuntergang reden«, sagte al-Wazir. »Diese alten Kerle mit ihren Diplomen von der Königin, die über die Mauer reden.«
    Etwas wie ein Lächeln huschte über Kitchens’ Gesicht. »Natürlich ist das so. Aber das sind die Experten, die wir haben. Ihnen wird aufgefallen sein, dass der Abgeordnete aus Caernarfon sich nicht dazu entschieden hat, diese Leute zum Äquator zu schicken. Es gibt einen Grund, warum Ihnen diese Aufgabe übertragen wurde, Sir.«
    »Warum vergeude ich dann hier meine Zeit?«, murrte al-Wazir.
    Kitchens antwortete ihn, deutlich um Geduld bemüht. »Weil das die Experten sind, die wir haben. Und wenn im Parlament eine Fragestunde anberaumt wird oder die Zauberer, die Ihrer Kaiserlichen Majestät aufwarten, mit ihren brüchigen Stimmen begründete Anfragen stellen, dann ist es genau das, was sie hören wollen.«
    Al-Wazir lachte. »Was? Dass sie die Sicherheit des Empire nicht in die Hände eines betrunkenen Matrosen von ungewisser Abstammung gelegt haben, dessen militärischer Werdegang zudem fragwürdig ist?«
    »Wir sind uns Ihrer Abstammung sehr wohl bewusst, Sir«, antwortete Kitchens, löste sich aus al-Wazirs Griff und ging weiter.
    Al-Wazir lachte noch lauter. »Es kommt mir so vor, als ob Sie sich an einem Scherz versucht haben.« Er folgte Kitchens in den nächsten kleinen Raum. »Ich wusste nicht, dass Sie das Zeug dazu haben.«
    Am Morgen des dritten Tags wartete Kitchens al-Wazir auf, als dieser in dem kleinen Speisesaal zwischen den Dachkammern, in denen er untergebracht worden war, Räucherhering mit Ei verspeiste.
    »Sie haben noch kein einziges Mal mit mir gegessen«, stellte al-Wazir fest. »Ich habe Sie noch nicht mal Wasser trinken sehen.« Er spießte einen Bückling auf. »Wie wäre es mit leckerem Fisch?«
    »Nein, danke.« Kitchens öffnete eine rote Mappe und notierte sich etwas.
    Al-Wazir aß den angebotenen Fisch selbst und betrachtete den schweigsamen Mann eingehend. Dieser wollte etwas sagen, aber er wollte vor